Reservative Wirklichkeitsinterpretation befreit zu einer nahezu unendlichen Vielfalt möglicher Existenzen als ob. Diese Existenzen sind üblicherweise unauffällig – bis Entscheidungen und Taten gefordert sind, die der jeweiligen repräsentativen Moral oder dem jeweiligen repräsentativen Recht widersprechen.
Mit sichtlichem Unbehagen spricht Bonhoeffer im Blick auf eine reservative Existenz als ob noch von der „Kunst der Verstellung“. Im Hintergrund stehen hier offenbar noch massive religiöse und moralische Vorbehalte. Im Konkreten weiß Bonhoeffer den Schein des als ob jedoch mutig zu wahren. Ein Beispiel: Am Nachmittag des 17. Juni 1940 sitzen Bonhoeffer und sein Freund Eberhard Bethge in einem Gartenlokal. In den Rundfunknachrichten wird von der Kapitulation Frankreichs berichtet. Die Gäste des Cafés springen begeistert auf. Sie reißen die Arme hoch und singen das Deutschlandlied. Bethge will sich dem Siegestaumel verweigern, doch Bonhoeffer weist ihn leise aber bestimmt zurecht. „Bist du verrückt?“, raunt er. „Wir werden uns jetzt für ganz andere Dinge gefährden müssen, aber nicht für diesen Salut“. Und beide erheben den Arm zum verhassten „Hitlergruß“.
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