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Montag, 29. Februar 2016

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Die Wirklichkeit übt heute gerade auch in ihren Virtualisierungen eine erschreckende und destruktive Macht aus. Der Kultursoziologe Max Weber formuliert zu Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu prophetisch: „Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.“

In dieser Lage wäre es fatal, nach neuen Wirklichkeitsinterpretationen zu suchen, die uns verheißen, die Götter der Wirklichkeit ließen sich bändigen. Zur Erinnerung: Wir haben es hier nicht mit Fleisch und Blut zu tun. Dringender denn je müssen wir heute eine Interpretation ausfindig machen, die uns größtmögliche Unabhängigkeit von den Göttern der Wirklichkeit verschafft.
Das Christentum und seine abendländischen Säkularisierungen helfen uns hier nicht mehr weiter. Beide sind vielmehr wesentlich mitverantwortlich für unsere gegenwärtige Ohnmacht. Der entscheidende, wenngleich durchaus verständliche Fehler nach Paulus war der, das messianische Ereignis zum Christusereignis umzuinterpretieren und die christliche Religion als Welttransformations- und Heilsannäherungsmacht zu konzipieren. Von dieser Uminterpretation hängen wir heute nach wie vor ab, auch wenn sie und ihre Verheißungen längst gescheitert sind.



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