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Sonntag, 28. Februar 2016

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Auch die Religion funktioniert heute im Topmodel-Modus - bis hinein in die Gottesdienste. Besonders deutlich lässt sich das an dem demonstrieren, was wieder einmal aus der virtuellen US-Kultur zu uns hinübergeschwappt ist: am Trend zum Worship oder Lobpreis.

Da werden mit geschlossenen Augen, wehenden Haaren und erhobenen Händen zu seichten Melodien gebetsmühlenartig große Begriffe geträllert, die in Gläubigen früherer Generationen tiefes Entsetzen über sich selbst ausgelöst hätten: "Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!" Heute entsetzen Begriffe wie Ehrfurcht nicht mehr. Heute wird munter darüber hinweggeträllert.
Einerseits unterwirft diese virtuelle Religiosität den Trällernden mit ihrer totalitären Emotionalität, andererseits bleibt sie für die Bewältigung des tatsächlichen Lebens völlig belanglos. Alain Badiou, einer der bedeutendsten Gegenwartsphilosophen, bezweifelt nicht zu Unrecht die Rede von der Wiederkehr der Religion. Was heute als Religion auftritt, so sagt er, ist bloß noch Theater.
Worship ist so gesehen Symptom eines sich ausbreitenden religiösen Nihilismus, des Verlustes religiöser Formen und Substanzen. Das mag zunächst traurig stimmen. Allerdings ist der religiöse Nihilismus auch durchaus eine Chance - wenn er als notwendige Vorbereitung einer nachchristlich-messianischen Uminterpretation der Wirklichkeit und eines form- wie substanzlosen Glaubens interpretiert wird.


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