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Dienstag, 23. Februar 2016

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Die Wirklichkeit erweist sich als widerständig: Die Kaffeebohne, die morgens beim Auffüllen der Kaffeemaschine daneben- und unter den Tisch fällt. Das kränkliche Krächzen am Frühstückstisch, das uns auffordert, die Pläne für den Tag fallen zu lassen. Der Motor, der nicht startet, der Bus, der schon weg ist. Die Menschen, die so anders sind als wir, denen wir aber nicht ausweichen können, weil wir von ihnen abhängig sind. Die Lebensziele, von denen wir irgendwann ablassen müssen, weil die Zeit über sie hinweggeschritten ist. Die kleinen und großen Katastrophen, die das Leben in seinem Gang behindern oder gar radikal wenden.

Die Wirklichkeit ist widerständig. Warum ist das so? Oder anders: Warum nehmen wir das so wahr? Wirklichkeit ist und läuft ja bloß so, wie sie ist. Widerständig wird sie erst in unserer Wahrnehmung, in unserem Vernehmen, in unserer Vernunft. Unsere Vernunft ist offenbar unser Problem. Durch sie haben wir es immer mit zwei Wirklichkeiten zu tun: mit einer tatsächlichen Wirklichkeit und mit einer vernommenen, gedachten, interpretierten Wirklichkeit. Unsere Interpretation von Wirklichkeit ist vielfältig und bei jedem Menschen ganz unterschiedlich bestimmt und ausgerichtet. Aber zumindest zwei Merkmale scheinen unseren Interpretationen doch gemeinsam zu sein: Wir versuchen, der vorgefundenen Wirklichkeit eine Struktur und einen Sinn zu geben, wir versuchen, sie als mögliche Einheit zu denken. Und wir versuchen, die vorgefundene Wirklichkeit unserem Sinnentwurf entsprechend zu gestalten, wir versuchen, ihr das abzuringen, was wir üblicherweise als Glück bezeichnen.
Unsere Vernunft nötigt uns zur Wirklichkeitsinterpretation, und sie nötigt uns zu dem Versuch, Macht zu ergreifen - über uns selbst, über andere, über den Lauf der Dinge. Als Menschen stehen wir im Kampf mit der Wirklichkeit. Und das hat Folgen. Schwerwiegende Folgen - für uns selbst, für andere und den Lauf der Dinge.



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