Lea Ypi gehört zu jenen Menschen, die ich mit großer Bewunderung anschaue. Sie ist begabt mit der Fähigkeit, atemberaubend spontan und treffsicher ansprechende, in sich stimmige Begriffsgebäude zu errichten, große Erzählungen zu entwerfen. Im Gegenüber zu Menschen wie Ypi nehme ich mein eigenes Reden und Schreiben eher als unbeholfenes Stammeln und Stottern wahr. Begabte wie Ypi laufen allerdings auch Gefahr, ihrer eigenen Begabung auf den Leim zu gehen.
Der Fall Ypi ist etwa ein unmittelbar eindrückliches Beispiel dafür, dass Vernunft immer auch das ist, was die jeweils prägenden Existenzbedingungen aus ihr haben werden lassen. Gerade begabte Menschen wie Ypi tun gut daran, im Verhältnis zur eigenen Vernünftigkeit und deren sprachlicher Fassung erkennbar kritische Distanz zu wahren, selbstdistanziert aufmerksam zu bleiben für die Bedingtheit des Gewordenseins ihrer Vernunft.
Der Fall Ypi ist zugleich ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Aufklärung sich auch gegen sich selbst wenden kann. Unter aufklärungsbedingten Denkbedingungen, die uns heute das unmöglich machen, was Aufklärung (als historisches Phänomen) selbst noch für möglich hielt, unternimmt Ypi einen salto mortale zurück in die Denkbedingungen der Aufklärung selbst. Nostalgische Vernunftakrobatik wie diese ist im Grunde genommen intellektuell unredlich. Und sie bewirkt nicht das, was Ypi selbst will: mehr Aufklärung. Sie bewirkt vielmehr Wiedereintrübung und Neuverdunklung des mittlerweile Aufgeklärten. Gerade begabte Menschen wie Ypi tun gut daran, den Großerzählungen, zu denen ihre Vernunft sie begabt, immer auch zu misstrauen. Wer selbst noch zu großen Theorien, zu großen Erzählungen fähig ist, der muss immer auch selbsternüchternd zur Kenntnis nehmen, dass diese Erzählungen keine allgemeine Geltung mehr beanspruchen können.
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