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Freitag, 6. August 2021

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Einige Zwischeneindrücke zu Hararis Kurzer Geschichte der Menschheit – vorläufig und verkürzt formuliert.

Mit sichtlichem Engagement zieht Harari gegen die Geschichten zu Felde, aus denen nach der so genannten kognitiven Revolution ganze Kulturen geformt wurden. Geschichten, die Harari als erfunden und als fragwürdig in ihren Zwecksetzungen begreift. Was ihm selbst zu wenig bewusst zu sein scheint (oder: was er möglicherweise ignoriert, was er vielleicht verschweigt): dass seine Geschichte über diese Geschichten selbst bloß höchst voraussetzungsreiche und kulturell vielfältig bedingte Erfindung ist, dass Geschichtsschreibung ohnehin immer bloß Erfindung von Geschichte sein kann. Die Zwecksetzung dieser Erfindung ist in Hararis Fall unübersehbar. Und sie ist zumindest methodisch nicht wenig fragwürdig.

Hararis unübersehbar persönlich motivierte Zwecksetzung: moralisierende Kritik der vor allem im westlichen Kontext tradierten kulturellen Prägung und Praxis, hier vor allem Kritik des Verhältnisses von Mensch und Tier sowie Kritik des Geschlechterverhältnisses. Methodisch bedient sich Harari einer ausgeprägt naturalistischen, teils biologistischen Argumentation. Was er auch hier übersieht oder unterschlägt: Die von ihm gewählte Argumentation bietet ihm nicht ein einziges normatives Kriterium. Nur dann, wenn er – was er unerlaubterweise nahezu unausgesetzt, oft zwischen den Zeilen tut – ein soeben beschriebenes natürliches Sein als ein moralisch zu forderndes oder anzuerkennendes Sollen deklariert.

Die deutlichste Schwäche Hararis liegt jedoch in der noch nicht einmal im Ansatz erkennbaren Würdigung und Kritik dessen, was wir Bewusstsein nennen. Dessen, was wann, wo und wodurch auch immer über den Menschen gekommen, in ihn hinein gefahren ist und was ihn seitdem durch die Wirklichkeit treibt – ihn auszeichnend, ihn zugleich aber auch belastend und belästigend. Eine eingehende Würdigung und Kritik des menschlichen Bewusstseins wäre jedoch unverzichtbare Voraussetzung dafür, die kulturbildenden Erzählungen des Menschen überhaupt angemessen würdigen und kritisieren zu können, gerade auch in ihren normativen Gehalten. Hier versagt Harari völlig und flieht in Folge dessen immer dann, wenn substanzielle Seriosität nötig wäre, in die oberflächliche, nicht sachgerechte Polemik.

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