Grundsätzlich bin ich ja sehr dafür zu haben, der Weltwirklichkeit an sich, gerade aber auch dem Wesen, das wir Mensch nennen, die vermeintliche Relevanz, den vermeintlichen Wert, die vermeintliche Würde zu entziehen. Jenseits (besser noch: diesseits) aller metaphysischen und religiösen Auf- und Überladungen müssen wir im Denken heute noch einmal neu ansetzen. Hier ist jedoch ein konzertierter denkerischer Kraftakt erforderlich – der sich ja bereits in den laufenden Fachdiskursen ereignet, zu dem Harari aber leider keinen Beitrag leistet. Inzwischen habe ich die beiden letzten Kapitel seiner Menschheitsgeschichte gelesen, und aus fachlicher Perspektive muss man schlechtweg festhalten, dass das Buch immer schwächer wird, je anspruchsvoller die Inhalte sind.
Dass Harari die religiösen und metaphysischen Erzählungen gerade auch der abendländischen Geistesgeschichte nicht seriös zu handhaben weiß, ist allzu offensichtlich. Zu seinen kruden und irreführenden Kategorisierungen der verschiedenen Denkbewegungen ist bereits vieles gesagt und geschrieben worden. Für besonders bedenklich halte ich hier die Tatsache, dass Harari seine eigenen grobschlächtigen Zugänge zu diesen Bewegungen einer breiten, fachlich nicht informierten und orientierten Leserschaft als State of the Art erscheinen lässt.
Endgültig versagt Harari aber in der Darstellung und Bewertung dessen, was er Die wissenschaftliche Revolution nennt, also in der Darstellung und Bewertung der säkularisierten, ökonomisierten, technisierten, insgesamt verwissenschaftlichten Moderne. Hier wird ihm seine naturalistisch verengte Perspektive auf den Lauf der Dinge endgültig zum Verhängnis. Wieviel Denkarbeit ist gerade im 20. Jahrhundert darauf verwendet worden zu verstehen, wie wir geworden sind, was wir sind, warum wir sind, wie wir sind. Eine der wohl entscheidenden Beobachtungen: Unser Gewordensein und Sosein kann nicht unabhängig gedacht werden von den spezifischen metaphysischen und religiösen Erzählungen, die uns durch die Geschichte getrieben haben. Diese Verbindung vermag Harari kaum zu sehen, noch viel weniger zu verstehen. Für ihn kann die (westliche) Moderne letztlich nicht viel mehr sein als ein Produkt des evolutionären Zufalls. Das heißt aber: Harari versteht weder die Welt noch sich selbst. Er kann weder die moderne Welt noch sich selbst als Symptom der Moderne begreifen.
Das kann nur bedenklich stimmen, gerade auch im Blick auf die beiden Folgebücher, die Harari in den vergangenen Jahren auf den Markt geworfen hat (die ich noch nicht gelesen habe). Hier tritt er wohl noch deutlich pointierter als Moralist und Pädagoge der Spätmoderne auf, dies aber, ohne sich das erforderliche Vorverständnis erarbeitet zu haben. Seine Forderungen können damit letztlich kaum mehr sein als das, was Luhmann so treffend als Apellitis bezeichnet hat. Diagnostisch und normativ substanzlose Apellitis.
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