Beim Schneeschaufeln unter Nachbarn kann man Typen identifizieren. Besonders bemerkenswert: jene Schaufler, die nicht schaufeln, sondern bloß schieben. Die den Schnee mit minimalem Aufwand oberflächlich beiseite wischen, die ihn nicht aus dem Weg räumen, sondern ihn irgendwo im Weg anhäufen. Welcher Grund auch immer Schieber zum schieben verleitet – Faulheit, Müdigkeit, Schwäche: Im Laufe der Woche wird ihr Problem der Schneebewältigung immer größer werden. Es sei denn, andere springen ihnen zur Seite und übernehmen die Last, die sie liegen lassen.
Schneeschieber sind vom Typus her so etwas wie unmittelbare Utilitaristen. Sie erkaufen sich unmittelbare Entlastungen durch mittelbare Erschwernisse. Unmittelbarer Utilitarismus ist eine besonders törichte Weise der Wirklichkeitsbewältigung, insbesondere dann, wenn er als normative Strategie, als Ethik betrieben wird. Schnee schmilzt – früher oder später. Andere unmittelbar utilitaristisch angehäufte Lasten des Lebens bleiben liegen, werden immer größer Und nicht immer finden sich Menschen, die bereit sind, diese Lasten stellvertretend zu beseitigen oder auch nur mitzu(er)tragen.
Allerdings: Vielleicht haben unsere normativen Strategien, vielleicht hat die Wahl unserer Ethik immer auch etwas mit unserer Natur zu tun. Vielleicht vertreten und leben wir gerade jene Ethik, die zu unseren natürlichen Möglichkeiten, vor allem aber auch zu unseren natürlichen Grenzen passt: zu unserer Faulheit, unserer Müdigkeit, unserer Schwäche. Dann wäre die Strategie des Schiebers nicht töricht, sondern vielmehr – wie man heute so sagt – authentisch. Sein Schieben wäre Erscheinungsweise seines Selbst.
Für den Beobachter oder gar Mitbetroffenen dieser Erscheinungsweise würde sich dann nicht zuletzt die (ethische) Frage stellen: Soll ich dem faulen Selbst ebenso bereitwillig zur Hilfe eilen, wie dem schwachen Selbst?
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