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Mittwoch, 31. Januar 2018

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Gestern hat Hans Joas vorgetragen. In der Münchner Katholischen Akademie, zu seinem neuen Buch über die Macht des Heiligen. Ein entspannter und durchaus anregender Abend. Joas war sichtlich gelöst, schien sich zu Hause wohl zu fühlen, unter Seinesgleichen, unter Glaubensschwestern und -brüdern. Was mich selbst in der Begegnung mit Menschen wie Joas immer besonders erstaunt: Sie können ganz selbstverständlich reden und schreiben – gerade so, wie andere einen gefüllten Wassereimer ausschütten.

In der Sache war Joas nicht überzeugend. Nichts von dem, was in der Macht des Heiligen mit großer Geste als Alternative vorgetragen wird, scheint mir tatsächlich neu zu sein. Zunächst will Joas offenbar klarstellen, dass zwischen Max Webers Entzauberung und dem Konzept der Säkularisierung unterschieden werden muss, dass sich der Begriff der Entzauberung nicht in das moderne Säkularisierungsparadigma, in ein säkularistisches Theorem einfügen lässt. Dieser Gedanke ist geradezu eine Binsenweisheit, eine vertraute Sache dem, der Weber halbwegs ernst zu nehmen versucht.
Joas will aber nicht allein die Rezeptionsgeschichte des Begriffs der Entzauberung, sondern den Begriff und die mit ihm verbundene Erzählung selbst kritisieren. Mit Webers Entzauberung sei der unumkehrbare Verlust des Heiligen, des Sakralen, des unmittelbar Sinnstiftenden behauptet. Diese Vorstellung sei offensichtlich falsch. Ihr müsse eine dynamische Erzählung des Werdens und Vergehens, des Gebrauchs und Missbrauchs von Heiligkeit, von Sakralität entgegen gestellt werden.
Abgesehen davon, dass Joas vor allem daran gelegen zu sein scheint, seinen eigenen Begriff gegen Weber abzusichern, kann seine Kritik an Weber diesen selbst gar nicht treffen. Der Gang der Ideen durch die Geschichte ist bei Weber alles andere als eindeutig, unumkehrbar, berechenbar. Das ist ja gerade seine Spitze nicht zuletzt gegen die Ideologie des historischen Materialismus. Am Ende der „ungeheuren Entwicklung“ okzidentaler Entzauberung, so Weber etwa in der Protestantischen Ethik, können durchaus „ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen“. Wer kann das schon wissen. Weber jedenfalls behauptet nicht, es zu wissen. Sein Begriff der Entzauberung bedarf daher nun wirklich nicht der Entzauberung durch eine Theorie des Heiligen oder des Sakralen.

Überdies etwas Grundsätzliches: Joas scheint mir gar nicht wirklich verstehen und wahrnehmen zu können, was der (heuristische) Begriff der Entzauberung bei Weber tatsächlich zum Vorschein bringen will, welche fundamentale Erschütterung damit angezeigt ist. Bezeichnend dafür war am gestrigen Abend sein offensichtliches Unverständnis für die Einschätzung Webers, der Prozess der Entzauberung habe in der reformatorischen, insbesondere in der calvinischen Theologie ihren Höhepunkt und Abschluss gefunden. Wer diesen Gedanken nicht versteht, der hat tatsächlich nichts verstanden. Der weiß nichts von der totalen Entgötterung der Welt, die mit Calvins Theologie paradox und unüberbietbar in die Welt gesetzt ist und sich ihren destruktiven Weg durch die Geschichte bahnt. Der spürt auch nichts von der totalen Sinnlosigkeit und Ohnmacht, die am Ende dieses Weges auszuhalten, zu erleiden ist.

Zwischenbemerkung: Dem ernsthaft calvinisch Denkenden ist in der Weltwirklichkeit nichts mehr heilig, nichts mehr sakral. Die andauernde Bewunderung des Heiligen, des Sakralen, die Joas diagnostiziert und mehr oder weniger unausgesprochen einfordert, ist dem calvinisch Denkenden nichts anderes als das, was Weber Kreaturvergötterung nennt. Das gilt selbstverständlich auch für die modernen Konzepte der Menschenwürde und des Menschenrechts.

Zu diesem Denken fehlt Joas offenbar der Zugang. Allem Anschein nach gehört er zu jenen Menschen, die sich, auf dem Markt stehend, über Nietzsches tollen Menschen und dessen Botschaft vom Tode Gottes wundern. Dabei gehört er nicht zu jenen, die nicht an Gott glauben. Sondern zu den selbstverständlich Religiösen, die gar nicht wissen, was mit dem Tod Gottes überhaupt gemeint sein könnte.

Nachbemerkung 1: Der von Joas gebrauchte, überaus weite Begriff des Sakralen bezeichnet gerade das, was er zu negieren, zu überwinden versucht: eine totale Säkularität, eine totale Immanenzgebundenheit. Nichts ist an sich mehr heilig, nichts ist als heilig gegeben. Alles Heilige kann nur noch gewählt werden. Diese Wahl aber hat selbst kein qualifizierendes Kriterium mehr. Diese Wahl ist beliebig, flüchtig, nichtig. Und in jeder Wahl äußert sich zugleich ein Gewähltsein, ein Gefangensein vom Gewählten, ein Gebundensein an das Gewählte. Zu der Mündigkeit, die totale Säkularität abverlangt, ist der Mensch gar nicht fähig. Die vermeintlich gute Botschaft von der bleibenden Macht des Heiligen ist bei Licht betrachtet eine erschreckende, alarmierende Nachricht.

Nachbemerkung 2: Es gibt einen Unterschied zwischen theoretischer Neugierde (Blumenberg) und existenzieller Suche. Der Neugierige findet immer etwas Neues, hat immer etwas zu erzählen. Dem Suchenden verschließt sich der Mund, zuletzt bleibt ihm ein Stottern, ein Stammeln (was durchaus viele Seiten füllen kann). Besonders unbehaglich und unpassend wird es, wenn Neugierige etwas über Suchende zu sagen versuchen (die Literatur zu Kierkegaard oder Nietzsche legt davon vielfach Zeugnis ab). Joas scheint mir zu den Neugierigen zu gehören.

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