Seiten

Sonntag, 11. Februar 2018

354

Gestern noch einmal die Tagebücher Jochen Kleppers aufgeschlagen, die Aufzeichnungen eines Menschen, dem es nicht gegeben war, in der Weltwirklichkeit Ort und Zeit zu finden, der in der Welt nicht hat ankommen dürfen. Die Texte, die wir von ihm kennen, sind Texte des Glaubens, nicht Wirklichkeitsbeschreibungen.

Oliver Kohler formuliert im Geleitwort recht treffend, wer sich auf die Tagebücher Kleppers einlasse, der gehe „an der Seite eines Menschen, dessen Pläne und Hoffnungen von den Klauen eines Ungeheuers erfaßt und vernichtet werden. Er spürt das Erlahmen der Kraft in den Händen, die geliebte Menschen schützen wollten. Er hört das Stammeln eines Gottsuchers, der seinen Wurzeln einen Weg durch Stahl und Beton bahnt, bis sie den Mutterboden der Bibel finden. Dieses Tagebuch fordert viel. Der es schrieb, hat sich nicht ausgespart für bessere Zeiten. Von Seite zu Seite fallen mehr Illusionen in sich zusammen. Schicht um Schicht lösen sich die Masken auf. Zurück bleibt ein Mensch. Wehrlos vor seinen Peinigern. Nackt vor seinem Gott.“
Ich habe Kleppers Tagebücher zuletzt vielleicht vor 15 Jahren gelesen. Nicht zufällig habe ich damals einen kleinen gelben Haftzettel dort eingeklebt, wo Klepper sichtlich an der Irrelevanz seines Schaffens, seine Existenz überhaupt zu verzweifeln beginnt. „Ein Katholik“, so schreibt er am 5. November 1935, „arbeitet in dem Gefühl der Vergeblichkeit vor Menschen und des Verdienstes vor Gott – wir Protestanten müssen unser Leben ertragen in dem Gefühl der Vergeblichkeit unserer Arbeit vor Menschen und der Verwerflichkeit vor Gott.“ Zum Verzicht auf Schaffen und Wirken sieht sich Klepper immer weniger von außen, immer mehr von innen genötigt. „Nicht von der Erkenntnis der Vergeblichkeit her – die wäre noch unendlich stolz! Sondern aus der Einsicht in die Entbehrlichkeit und Verwerflichkeit“ (5. Dezember 1935).
Entbehrlich sind wir, entbehrlich ist unser Schaffen und Wirken, das ist wohl war. Unser Schaffen und Wirken ist hier und da auch verwerflich, in jedem Falle aber nichtig. Auch das ist wahr. Gottes aufhebender und überwindender Hauch weht durch die Geschichte der Weltwirklichkeit, und die Welt verdorrt wie Gras auf dem Feld – ob wir nun sind oder nicht, ob wir Schaffen und Wirken oder nicht. Warum aber dann die Arbeit nicht lassen? Weil wir nicht lassen können von der Hoffnung, „Gott möge noch einen Schein von dem Wort ‚Wer die Hand an den Pflug gelegt hat‘ auch auf diese Arbeit fallen lassen“ (5. Dezember 1935). Aber: Müssen wir nicht zuletzt, wenn Zeit und Raum sich endgültig zusammen drängen, auch diese so merkwürdig stolze Hoffnung noch fahren lassen (siehe auch Nr. 346)?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen