Seiten

Mittwoch, 8. November 2017

329

Ausgrenzung. Rassismus. Anerkennung. Respekt. Einige von vielen populären Begriffen, die Ideologie und Moral der Gleich-Gültigkeit negativ oder positiv zu befördern versuchen. Menschen und Kollektive sollen nicht mehr normativ diskriminiert, nicht mehr normativ unterschieden, nicht mehr normativ getrennt werden. Weder weltanschaulich noch lebenspraktisch.

Durch Ideologie und Moral der Gleich-Gültigkeit müssen wir hindurch. Es führt kein Weg vorbei am Zeitalter der Gleich-Gültigkeit. Warum? Wir können Menschen und Kollektive gar nicht mehr diskriminieren. Alle natürlichen und geschaffenen, alle vorgegebenen und konstruierten Gültigkeiten, die uns Diskriminierung anbieten, haben sich als zuletzt flüchtiger Schein erwiesen. Alle aktuellen politischen, sozialen und sonstigen (Ab-) Schließungsbemühungen sind nichts anderes als substanzloses Theater. Politische und soziale Diskriminierung kann heute nichts anderes mehr sein als bloßes (durchaus gefährliches) Spektakel. Inszenierung. Schauspiel. Von „America first“ über „Brexit“ bis hin zu „No pasarán“ und „Votarem“ auf den Straßen Kataloniens. Von PEGIDA und AfD ganz zu schweigen.
Durch das Zeitalter der Gleich-Gültigkeit hindurch müssen wir jedoch über dieses Zeitalter hinauskommen, schon jetzt über dieses Zeitalter hinaus denken und hinaus schreiten. Denn das Zeitalter der Gleich-Gültigkeit ist gerade nicht das Zeitalter der Freiheit und des Friedens. Es ist das Zeitalter des zuletzt nicht mehr eingehegten und nicht mehr einzuhegenden Krieges aller gegen alle, der totalen Konfrontation normativ nicht mehr zu diskriminierender, nicht mehr zu unterscheidender Gleich-Gültigkeiten.

Anmerkung: Kaum ein Denker der jüngeren Vergangenheit ahnt die Heraufkunft des globalen Krieges der Gleich-Gültigkeiten sensibler als Carl Schmitt. Und Schmitt ist ein ängstlicher Mensch, will durch das kommende Zeitalter, dessen Schatten sich ihm in Weimar abzuzeichnen beginnen, nicht hindurch. Er versucht, ein Bollwerk zu erreichten, das dieses Zeitalter aufzuhalten in der Lage sein soll. Das Bollwerk einer dezisionistischen Diskriminierung von Freund und Feind, das Bollwerk einer Politik der Feindschaft. Nicht verstanden als eine Politik des Hasses, sondern als eine Politik dezisionistischer Unterscheidung von Unterschiedlichem (eine Vorstellung, die Schmitt im historischen Kontext in fatale Nähe bringt zum nationalsozialistischen Führerstaat). Nur durch diese diskriminierende, die Gleich-Gültigkeit aufhaltende Politik hindurch kann Schmitt Geschichte überhaupt verstehen und für sinnvoll halten.
Dass jedoch Geschichte nicht verstehbar ist, dass das Wesen dieser Weltwirklichkeit schon immer im Vergehen begriffen und dass Weltwirklichkeit insofern sinnlos ist, dass der Weg durch das Kreuz und die totale Gleich-Gültigkeit des Karsamstags hindurch unvermeidlich ist, das hat Schmitt nicht ernsthaft anzuschauen gewagt. Dem hat er sich durch seine Forderung nach katechontischer Politik vielmehr zu verweigern versucht. Unvermeidlich vergeblich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen