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Donnerstag, 5. Dezember 2019

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Was hat mir die reservative Haltung, die reservative Interpretation, den reservativen Glauben ermöglicht: Die erschütternde Erfahrung des unendlichen Aufschubs der innerwirklichen Erfüllung einer messianischen Verheißung. Dann aber auch die ernüchternde Erfahrung der Ungenießbarkeit, ja der Nichtigkeit dessen, was sich mir als weltwirklicher Ersatz, als Surrogat des Verheißenen angeboten hat.
Beiden Erfahrungen, in denen sich ja im Grunde genommen die beiden zentralen geschichtlichen Erfahrungen des Christentums widerspiegeln, habe ich mich gestellt, weder der einen noch der anderen bin ich ausgewichen, aus beiden Erfahrungen habe ich die interpretatorischen und lebenspraktischen Konsequenzen gezogen. Dies allerdings im Unterschied zum Christentum und seinem modernen Säkularisat. Dies auch im Unterschied zu vielen religiösen und säkular-religiösen Mitmenschen, die mir bekannt und zum Teil vertraut sind. Wer reservativ denken und leben will, der muss beides lassen, loslassen: die mögliche Weltwirklichkeit messianischer Verheißungen, aber auch die mögliche Zuflucht zu weltwirklichen Surrogaten – welcher Art diese auch immer sein mögen.

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