Donnerstag, 31. Januar 2019
441
Warum verwenden eigentlich so viele Eltern, wenn sie sich in der Ansprache ihrer Säuglinge und Kleinkinder selbst bezeichnen, die dritte Person Singular? Warum sprechen sie ihre eigenen Kinder in der dritten Person an?
Dienstag, 29. Januar 2019
440
Unsere jüngste Tochter bringt aus dem Französischunterricht eine Aufgabe mit nach Hause. Sie soll uns fragen, ob wir auf unser Deutschsein stolz sind. Die Frage führt uns rasch zu der grundsätzlicheren Frage danach, was Stolz überhaupt bedeuten soll, bedeuten kann. Wir unterhalten uns eine Weile, werden uns allerdings nicht einig.
Montag, 28. Januar 2019
439
Böse oder gut. Darüber entscheidet nicht die Moral, auch nicht die Ethik als deskriptive oder normative Reflexionstheorie der Moral.
Mittwoch, 23. Januar 2019
438
Dass Menschen, junge und nicht erwachsen gewordene Menschen, derzeit vermehrt ihre Häuser und Wohnungen mit Beinkleidung verlassen, die man vor nicht allzu langer Zeit noch nicht einmal unter der Bettdecke getragen hätte – sicher eine Modeerscheinung. Vielleicht aber auch Symptom dafür, dass Menschen verlernen, zwischen repräsentativen Sphären zu unterscheiden – in diesem Falle zwischen der Sphäre des Privaten und der des Öffentlichen. Und Menschen verlernen, dass repräsentative Sphären der repräsentativen Abgrenzung bedürfen, nicht zuletzt auch durch Kleidung.
Der Verlust der Sphärengrenzen und ihrer Repräsentationen ist irritierend, in reservativer Hinsicht aber durchaus auch verheißungsvoll. Wie jeder gegenwärtig werdende Nihilismus (etwa die Verflachung von Hierarchien in Organisationen, oft auch symbolisiert in einer allzu voreilig distanzlosen Duzerei). Alles kommt nun darauf an, was dem werdenden Nihilismus folgt. Was wir jenseits des Nihilismus wollen.
Der Verlust der Sphärengrenzen und ihrer Repräsentationen ist irritierend, in reservativer Hinsicht aber durchaus auch verheißungsvoll. Wie jeder gegenwärtig werdende Nihilismus (etwa die Verflachung von Hierarchien in Organisationen, oft auch symbolisiert in einer allzu voreilig distanzlosen Duzerei). Alles kommt nun darauf an, was dem werdenden Nihilismus folgt. Was wir jenseits des Nihilismus wollen.
437
In jedem Erbarmen spukt immer auch das Gespenst der Selbstüberhebung.
Freitag, 18. Januar 2019
436
Frei nach Luther: Weltwirklicher Erfolg ist eine Gunst Gottes für jene, die im Weltwirklichen an das Weltwirkliche verloren sind.
Nachgedanke: Im Weltwirklichen an das Weltwirkliche verloren sind nicht selten gerade die Frommen im Lande. Nicht etwa nur die Frommen, die fromm sind aus niederen Beweggründen. Gerade auch die Frommen, die fromm sind aus religiöser Überzeugung. Von Herzen. Mit Hingabe.
Donnerstag, 17. Januar 2019
435
Eine der tiefsten Kränkungen, die das Denken zufügt, ist die unausweichliche Depotenzierung und Relativierung des Selbst.
Mittwoch, 16. Januar 2019
434
Luftballon-Nena, das durchgeknallte Streifenhörnchen meiner Jugendzeit, macht jetzt Werbung für Penny – als (Vorsicht: Marketing-Sprech) Nachhaltigkeits-Testimonial. Früher oder später assimiliert das System Jede und Jeden. Oder richtiger: Früher oder später offenbart sich, dass Jede und Jeder immer schon Funktion des Systems ist. Auch jene, die sich gerne als das Andere verstehen und präsentieren. Sie integriert das System, indem es ihnen den Platz eines vermeintlich Anderen zuweist und sie damit ruhig stellt. Dieses Andere steht aber gar nicht außerhalb des Systems, sondern ist lediglich eine seiner Funktionen. Im Fall Nena ist das vermeintlich Andere die Natürlichkeit, vermeintlich realisierbar durch das vermeintlich Andere der Nachhaltigkeit.
Sonntag, 13. Januar 2019
433
Der nächste Bestimmungsversuch. Eine wesentliche Eigentümlichkeit des jesuanischen, noch mehr des paulinischen, noch viel mehr des reservativen Messianismus: Er hält dazu an und befähigt dazu, auf nichts mehr hinaus zu wollen. Mehr noch: Er hält dazu an und befähigt dazu, mit dem auf nichts mehr hinaus zu wollen auf nichts mehr hinaus zu wollen.
Donnerstag, 10. Januar 2019
432
Heute früh, kurz nach sechs. Knapp 30 Zentimeter Neuschnee. Beim Schneeschaufeln Begegnung mit dem Nachbarn, einem älteren Herrn. Wie es so üblich ist – ich lasse eine erstaunte Bemerkung zur Schneemenge fallen. Der Mann brummt leise. „Das war früher ganz normal“, sagt er und geht zurück ins Haus.
Einen Moment überlege ich, was der Mann wohl denkt, wie alt ich sei, und natürlich – was meint er mit früher? Vor allem aber: Was wollen (ältere) Menschen wie er anderen (jüngeren) Menschen mit solchen Sätzen eigentlich sagen? Dass früher alles besser war? Oder schlechter? Dass man früher mehr zu lachen hatte? Oder mehr zu leiden? Jedenfalls scheint sich in solchen Sätzen eine Art Selbstbefestigung auszudrücken, verbunden mit einem deutlichen Impuls zur Selbstabgrenzung, nicht selten wohl auch zur (romantisierenden) Selbstüberhebung.
Dienstag, 8. Januar 2019
431
Am vergangenen Wochenende Wintereinbruch in Südbayern. Es soll auch in den kommenden Tagen weiter schneien.
Sonntag, 6. Januar 2019
430
Hiobs Theologie: Gott gibt sich selbst dadurch die Ehre, dass er es den Zumutungen der Weltwirklichkeit (und ihrer Götter) nicht gestattet, den Glauben Hiobs zu überwinden. Sein und Existenz sind theatrum gloriae dei. Max Weber bezeichnet diese Theologie als rationale Lösung des Theodizee-Problems. Tatsächlich hat diese Theologie ihre ganz eigene Rationalität. Allerdings eine Rationalität, die zu maximaler Entselbstung herausfordert – begriffen als maximale Unabhängigkeit vom natürlichen Selbst.
Dienstag, 1. Januar 2019
429
Angenehm an Festtagen und -zeiten ist mir vor allem die nachträgliche Beseitigung ihrer Spuren. Die Rückkehr zur Schlichtheit und Selbstverständlichkeit des Alltäglichen.
Unangenehm an Festtagen und -zeiten ist mir vor allem die nachträgliche Unsichtbarkeit ihrer Spuren. Ihre Restlosigkeit angesichts der Banalität und Mechanik des Alltäglichen.