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Mittwoch, 21. Februar 2018

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Nebenbei beobachte ich die insgesamt recht dürftige und randständige Politische Theologie in Deutschland. Gerade lese ich das Buch des Dominikaners Ulrich Engel: „Politische Theologie ‚nach‘ der Postmoderne. Geistergespräche mit Derrida & Co“. Engel ist Schüler von Johann Baptist Metz, und er führt noch einmal eindrücklich vor Augen, wie kurz der theologische Weg ist von der Neuen Politischen Theologie hin zu Dekonstruktion und Poststrukturalismus.

Die Lektüre macht Freude, weil Engel sich diagnostisch sensibel zeigt. Die Lektüre macht vor allem auch Freude, weil Engel sich an den wesentlichen Begriffen, Namen und Konzepten abarbeitet. Enttäuschend ist allerdings der übliche (katholische) Rettungsversuch. Engel nimmt mutig Anlauf, bricht den Sprung jedoch aus Furcht vor dem Ab-Grund vorzeitig ab. So weiß er etwa um die Unmöglichkeit eines naiven Repräsentationsbegriffs, daher auch um die Unmöglichkeit naiver religiöser und politischer Repräsentationskonzepte. Er weiß also um die Differenz, um den Riss zwischen Signifikant und Signifikat, will aber dann doch zuletzt nicht von den Repräsentationen lassen, will zumindest schwache Repräsentationen behaupten, will schwache Präsenzen von schwachen Substanzen verfügbar halten. Möglich wird dies, wie schon in der Repräsentationskrise des Hochmittelalters, allein auf dem Wege der Mystik.
Engels (katholischer) Rettungsversuch ist also dieser: Die schmackhafte, verlockende Suppe der Repräsentation bekommt durch einen kräftigen Schuss negativer Theologie einen bitteren, abstoßenden Beigeschmack. Neutralisiert wird dieser Geschmack durch Zuflucht im mystischen Trost. Oder anders: Nach dem Verlust des Glaubens an die starke klassische Medizin weicht Engel aus in den Glauben an eine schwache Homöopathie – die im klassischen Schema verharrt und zugleich von mystischen Verheißungen lebt.
Abgesehen von der intellektuellen Unredlichkeit, die sich in Engels Rettungsversuch Ausdruck verschafft, stört mich daran vor allem der unvermeidliche Verzicht auf Politik. Eine Politische Theologie, wie sie Engels entfaltet, ist streng genommen das Ende der Politik, das Ende der Macht. Mit dieser Politischen Theologie lassen sich Politik und Macht allenfalls anklagen und durchbrechen, und dies nach wie vor mit dem klassischen Mittel der Repräsentation. Eine andere, nach-repräsentative Politik ist damit nicht erreicht.

Nachbemerkung: Theologisch hängt auch die schwache Repräsentation noch an der thomanischen Annahme gratia non tollat naturam, sed perficiat, an dem Gedanken einer gnädigen Vollendung, nicht einer gnädigen Aufhebung und Überwindung der Weltwirklichkeit. Dieser Annahme kann und muss heute mehr denn je die von Calvin 1535 in der Vorrede zur Olivetanbibel formulierte Feststellung entgegen gehalten werden: son image et semblance en estoit effacee. Nichts in der Weltwirklichkeit ist Repräsentant Gottes. Nach-calvinisch konsequenter, folgenreicher noch: Im Weltwirklichen repräsentiert noch nicht einmal etwas einen Schöpfer.

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