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Montag, 26. Dezember 2022

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Am heiligen Abend zu Besuch im Gottesdienst der Kirche für Oberberg – eine dieser Projektkirchen, die mit einem möglichst professionellen Angebot das auf dem Markt zu halten versuchen, was vom christlichen Glauben noch übrig ist. Das Angebot scheint hier aktuell zu ziehen: Die größte Halle der Stadt wurde angemietet, und die Reihen sind gut gefüllt.

Das Mission Statement der Kirche für Oberberg: Wir lieben Gott. Wir lieben Menschen. Wir geben unser Bestes. Wir genießen das Leben. Das Wir ist hier offenbar das Rotationszentrum. Dem Wir gilt der Anspruch: Gottes- und Menschenzuwendung, dabei maximale Performance. Unter dieser Bedingung gilt dem Wir der Zuspruch: maximale Lebenszufriedenheit. Gewissermaßen als Profit, als Benefit.

Die Wir-Perfomance, die wir in dieser Kirche an diesem heiligen Abend erleben, ist ausgesprochen professionell: von der persönlichen Begrüßung auf den Zufahrtstraßen, über die perfekte, hier und da an zeitgenössische Musicals erinnernde Inszenierung des Bühnenprogramms, bis hin zur Begleitpräsentation des Events auf den einschlägigen Social-Media-Plattformen. Kleinere Unstimmigkeiten oder Pannen lassen sich an einer Hand abzählen. Wenn man Gottesdienst so machen will, dann muss man es so machen. So und nur so ist es unterhaltsam. Anders ist es peinlich.

Mehr als unterhaltsam können Gottesdienste dieser Art allerdings auch nicht sein. Gottesdienste dieser Art sind bloß noch Aufführungen, bloß noch Theater. Und hinter diesen Aufführungen verbirgt sich das eigentliche Problem dieser Art Kirche: Kirche, die Gottesdienste so inszeniert, ist nicht mehr Gemeinschaft von Glaubenden, sondern bloß noch ein Ensemble von Glaubensdarstellern. Und dessen sind sich die Glaubensdarsteller noch nicht einmal bewusst. Sie glauben zu glauben, wissen aber gar nicht mehr, was Glaube überhaupt ist. Sie halten die Glaubensdarstellung vielmehr für die Sache selbst.

In dieser Art Kirche ist die selbst auferlegte Gottes- und Menschenliebe maximal professionalisiert, zugleich aber auch maximal virtualisiert. Gerade auch der verheißene Profit maximaler Liebesperformance ist entsprechend bloß noch virtuell zu haben: virtueller Lebensgenuss, gewährleistet durch einen virtuell präsenten Gott. Was in dieser Art Kirche also bloß noch angeboten und gefunden werden kann, ist nicht mehr Glaube als selbststabilisierende Fiktion, sondern Glaube als reine Virtualität, als unbestimmte kontingente Scheinrealität. Diese Art Kirche, das muss man wissen, kann als Kirche damit letztlich bloß noch ein Ort für jene sein, denen es – warum und wie auch immer – gelingt, sich dauerhaft in einem virtuellen Zufluchtsraum aufzuhalten und sich so durch die Wirklichkeit hindurch zu mogeln.

Allerdings gilt auch hier: Ignorance is Bliss. Selig sind die religiösen Virtuosen, denn sie werden die Wirklichkeit nicht sehen.


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