Seiten

Mittwoch, 7. Dezember 2022

885

Nach einem erstaunlich erfreulichen Blockseminar mit Master-Studierenden zum Verhältnis von Glauben und Wissen, auf der Suche nach der möglicherweise haarfeinen Linie, die beide voneinander unterscheidet.

Die eigentümliche und wesentliche Verführung unseres Bewusstseins ist und bliebt die Repräsentation, die unmittelbar mit unserem Bewusstsein gegebene Vorstellung eines Steht Für. Wer sein Bewusstsein halbwegs aufmerksam zu beobachten versucht, der wird es dabei ertappen, dass es unablässig darum ringt, ein Steht Für zu erzeugen und zugleich die unzähligen vereinzelten Repräsentationen zu einem schlüssig erscheinenden Muster zusammenzuweben, das dann selbst wiederum nichts anderes ist als eine Repräsentation. Sogar die Selbstbeobachtung des eigenen Bewusstseins verbleibt im repräsentativen Zirkel.

Dazu einige kurze Gedanken.

Erster Gedanke: Ein Freund hat mich kürzlich noch einmal auf den Stand der Entwicklung künstlicher Intelligenz verwiesen. Wenn wir künstliche Intelligenz zu erzeugen versuchen, dann mühen wir uns letztlich um nichts anderes, als um eine Imitation des menschlichen Bewusstseins, um eine Imitation und zuletzt Verselbständigung eines künstlich Repräsentativen, eines künstlichen Steht Für – und dies möglichst komplex und möglichst tief.

Zweiter Gedanke: Es gibt kein religiöses oder metaphysisches, aber es gibt ein repräsentatives Apriori des menschlichen Bewusstseins. Menschliches Bewusstsein ist a priori repräsentativ. Im konkreten Menschen kann sich dieses Apriori dann religiös oder metaphysisch oder anders ausprägen.

Dritter Gedanke: Gegen das repräsentative Apriori haben letztlich noch nicht einmal jene postmodernen Denker etwas unternommen, die der verführerischen Kraft des Steht Für auf die Schliche gekommen sind und denen ich selbst viel verdanke – Jacques Derrida, Gianni Vattimo, Giorgio Agamben.

Vierter Gedanke: Das ist die eigentliche Not des Alters – es zwingt zu der Anerkenntnis, dass jedes Steht Für für nichts steht. Jedes Steht Für ist eine Verführung, alles Mühen um Repräsentationen ist ein Haschen nach Wind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen