Insofern dieser unspezifische Schmerz dem Menschsein an sich eigentümlich ist, ist er Antrieb des Menschen dafür, Unterschlupf und Schutz zu suchen in einer zahllosen Vielheit geistiger, praktischer und materieller Behausungen.
Die Art der gewählten Behausung ist abhängig von der Eigentümlichkeit des jeweiligen Bewusstseins, von Ursache und Art des Schmerzes, von der je wahrgenommenen Schmerzintensität, von den geistigen, praktischen, materiellen Voraussetzungen und Fähigkeiten dessen, der seinen Schmerz mehr oder weniger empfindet.
Alle geistigen, praktischen, materiellen Behausungen, in denen Menschen Unterschlupf und Schutz suchen, erweisen sich früher oder später als brüchig, als flüchtig. Sie sind wie Gras, wie Blumen auf dem Feld. Wenn der Wind der Wirklichkeitsentwicklung darüber geht, so sind sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennen sie nicht mehr.
Dies wissend und bedenkend kann die Aufgabe von Interpretation und Praxis des Denkenden nicht allein darin liegen, die Brüchigkeit und Flüchtigkeit aller Behausungen zu markieren und an ihrer Destruktion mitzuwirken. Die sich stellende Aufgabe liegt vor allem darin, die geistigen, praktischen, materiellen Behausungen zu entmachten, ihre Absolutheit zu schwächen und ein Menschsein zu eröffnen, das nicht mehr notwendig Zuflucht suchen muss in geistigen, praktischen, materiellen Behausungen.
Die wesentliche Aufgabe von Interpretation und Praxis des Denkenden liegt also darin, eine andere, behausungsunabhängige Handhabung des im Bewusst-In-Der-Welt-Sein sich unmittelbar aufdrängenden Schmerzes zu eröffnen. Ich nenne diese mögliche Handhabung prä-kulturell. Oder auch: abrahamitisch. Reservative Interpretation und Praxis ist darauf aus, eine aufgeklärt-abrahamitische Handhabung des im Menschsein veranlagten Schmerzes zu gewinnen. Dies aber ausdrücklich unter den Bedingungen der jeweils vorgefundenen, brüchigen und flüchtigen Behausungen.
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