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Mittwoch, 28. Februar 2018

361

Im totalitären Kampf gegen Diskriminierungen gehen leider immer häufiger notwendige Differenzierungen verloren.

Sonntag, 25. Februar 2018

360

Kürzlich im Radio eine Werbung für flexible Tarife. Verspottet wurden dagegen alle Produkte mit langfristiger Bindung, mit vertraglichen Verpflichtungen „bis dass der Tod euch scheidet“. Der verächtliche Rückgriff auf die klassische Trauformel zu Werbezwecken ist Symbol für das Nutzendiktat der Stunde: Flexibilität, Beweglichkeit, Offenheit. Stabilität, Standhaftigkeit, Entschlossenheit – wer kann das noch wollen?
Der kurze Radiospot verstärkt noch einmal einen traurigen Eindruck der vergangenen Wochen: Das verlockende und verleitende Diktat unserer Gegenwartskultur der Flüchtigkeit ist so mächtig, dass unsere alternativen familialen Milieus kaum stark genug sein können, um unsere Kinder mit ausreichender Widerstandskraft auszurüsten. Letztlich bleibt uns allein die Hoffnung auf stabile frühkindliche neuronale Vernetzungen, auf Zeit und auf Entzauberung.

Samstag, 24. Februar 2018

359

Ein weiterer Versuch, das reservative Anliegen aufzuklären: Gesetzt sei der Satz, dass wir neben Gott keine anderen Götter haben sollen, dass für uns nichts Gott sein soll, außer Gott allein. Gesetzt sei auch Luthers Satz, dass alles, woran wir unser Herz hängen, woran wir uns binden und wovon wir uns bestimmen lassen, unser Gott ist.

Donnerstag, 22. Februar 2018

358

Ein kurzer Gedanke, der theologisch zu entfalten wäre: Die biblische Erzählung von Schöpfung und Fall lässt sich anti-repräsentativ interpretieren. Gott stellt dem Menschen mit seinem Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, nicht etwa eine fragwürdige religiöse oder moralische Falle. Und der Sündenfall ist auch kein religiöser oder moralischer Abfall. Mit dem Verbot wird der Mensch vielmehr davor gewarnt, in die repräsentative Existenz hineinzufallen, in eine Existenz, in der er sich das Göttliche repräsentativ verfügbar macht (Früchte) und sich selbst in den Status erhebt, Repräsentant des Göttlichen zu sein (wie Gott). Warum diese Warnung? Weil der repräsentativ Existierende unterscheiden muss und damit in absoluter Differenz steht zum Göttlichen. Das ist die eigentliche Lüge der Schlange: sein wie Gott meint unterscheiden zwischen gut und böse. Dieser Lüge folgt, für diese Lüge steht bis heute jede Religion.

Vor dem Hintergrund dieser Interpretation ein Nachtrag zu Billy Graham, der gestern verstorben ist: Das religiöse Leitbild meiner Vatergeneration repräsentiert, auf seine spezifisch evangelikale Weise, letztlich nichts anderes als die repräsentative Verlockung selbst. Und nichts anderes als repräsentative Verlockung hat er gepredigt. Erschreckend. Eigentlich.

Mittwoch, 21. Februar 2018

357

Nebenbei beobachte ich die insgesamt recht dürftige und randständige Politische Theologie in Deutschland. Gerade lese ich das Buch des Dominikaners Ulrich Engel: „Politische Theologie ‚nach‘ der Postmoderne. Geistergespräche mit Derrida & Co“. Engel ist Schüler von Johann Baptist Metz, und er führt noch einmal eindrücklich vor Augen, wie kurz der theologische Weg ist von der Neuen Politischen Theologie hin zu Dekonstruktion und Poststrukturalismus.

Sonntag, 18. Februar 2018

356

Es gibt derzeit kaum einen Kontext, in dem die Natur als Norm, die (vermeintliche) Normativität der Natur so nachdrücklich eingefordert wird, wie im Kontext der LGBT-Ideologie. In der Praxis dieser Ideologie zeigt sich geradezu idealtypisch, dass jeder, auch jeder säkularisierte Schöpfungsglaube zuletzt auf eine normativ gewendete Vergleichgültigung jeder beliebigen Natur hinauslaufen muss. Wir glauben, in den Konzepten von Menschenwürde und Menschenrecht ein Instrument gegen die Launen der Natur in der Hand zu haben. Tatsächlich aber liefern wir uns mit diesen Konzepten den Launen der Natur vollständig aus. In Menschenwürde und Menschenrecht erreicht die abendländische Kulturentwicklung ihren Höhepunkt, kommt aber zugleich an ihr Ende.

Samstag, 17. Februar 2018

355

Die wesentliche Bedrängnis menschlicher Existenz ist diese, dass der Mensch ein zur Zwecksetzung fähiges und zur Zwecksetzung genötigtes Wesen ist. In den vergangenen Tagen habe ich mich noch einmal eingehender mit der Auseinandersetzung zwischen Eric Voegelin und Hans Blumenberg beschäftigt. Beide machen in ihrem Streit auf ihre Weise einen wichtigen und richtigen Punkt: Die säkulare Neuzeit kann insofern als gnostische Epoche begriffen werden (Voegelin), als dass sich der Mensch in ihr Zweck und damit Sinn zu verschaffen versucht. Gnosis ist ja im Kern nichts anderes als eine (quasi-) religiöse Konstruktion von Sinn in der Krise des Sinns (wenngleich der gnostische Sinn, anders, als Voegelin es annimmt, streng genommen bloß ein negativer sein kann). Die säkulare Neuzeit lässt sich aber auch als radikal antignostische Epoche begreifen (Blumenberg), insofern sie jede Zuflucht in transzendent gewährleisteten Sinn unmöglich macht und dazu nötigt, ohne letzte Zwecke und damit letztlich sinnlos zu existieren (wenngleich der moderne Mensch gerade dies nicht zu ertragen vermag). Die Frage, die wir für eine nach-säkulare Zeit zu beantworten haben, ist diese: Wie können wir als zwecksetzungsgenötigte Wesen im Bewusstsein der Zwecklosigkeit existieren, ohne in Apathie, Depression, Zynismus oder Hedonismus zu verfallen? Wenigstens ebenso drängend ist aber auch die Frage, wie es uns gelingen kann, eine Erneuerung gnostischer Sinnkonstruktionen zu verhindern.

Sonntag, 11. Februar 2018

354

Gestern noch einmal die Tagebücher Jochen Kleppers aufgeschlagen, die Aufzeichnungen eines Menschen, dem es nicht gegeben war, in der Weltwirklichkeit Ort und Zeit zu finden, der in der Welt nicht hat ankommen dürfen. Die Texte, die wir von ihm kennen, sind Texte des Glaubens, nicht Wirklichkeitsbeschreibungen.