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Freitag, 12. Mai 2017

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Vielleicht doch an dieser Stelle einige grundsätzliche Anmerkungen zu den tagespolitischen Ereignissen rund um den tatsächlichen und vermeintlichen Rechtsradikalismus innerhalb der deutschen Streitkräfte.

Der entscheidende Geburtsfehler der Bundeswehr liegt wohl darin, dass die Idee des Staatsbürgers in Uniform und das damit gegebene Innere Gefüge nicht das ist, was es zu sein verspricht: ein fundamentaler Neuansatz. Der Staatsbürger in Uniform ist vielmehr eine Reanimation des mit der französischen Revolution geborenen, repräsentativen Weltanschauungssoldaten. Dieser Soldat hätte spätestens nach seiner Überhöhung und Vermassung unter nationalsozialistischen Bedingungen zu Grabe getragen werden müssen.
Der repräsentative Weltanschauungssoldat der Bundeswehr, wie er von seinen Konstrukteuren gedacht ist, hat eine spezifische Weltanschauung zu haben und er hat einer spezifischen Sittlichkeitsvorstellung zu entsprechen. Anschauung und Sittlichkeit des Soldaten werden als repräsentativ begriffen für Anschauung und Sittlichkeit aller Deutschen. Und Anschauung und Sittlichkeit des Soldaten richten sich, notfalls gewaltsam und stellvertretend für alle Deutschen, gegen eine eindeutig identifizierbare und abgrenzbare feindliche Alternative.
Diese Vorstellung vom Soldaten hat im Kalten Krieg recht gut überwintern können. Heute, in der Hitze einer globaler, unübersichtlicher, unberechenbarer und unbeherrschbarer werdenden Weltwirklichkeit, erweist sie sich jedoch zunehmend als unhaltbar und sogar als gefährlich. Weltanschauliche und sittliche Geschlossenheit lassen sich kaum noch denken, noch viel weniger herstellen – schon gar nicht in gesamtgesellschaftlicher Dimension. Was und wer soldatisch zu repräsentieren wäre, lässt sich nicht mehr sicher und überzeugend angeben. Gleiches gilt für den möglichen Feind: Wer der Feind ist und wofür er steht, ist kontingent. Der damit angedeutete Entgründungs- und Entgrenzungsprozess geht einher mit der paradoxen globalen Aus- und Überdehnung des überkommenen politischen Systems, als dessen Gewaltfunktionär sich der deutsche Soldat zur Verfügung stellen soll.
Die Lage des Soldaten ist damit hoch explosiv – für den Einzelnen, für die Gesellschaft und für den Globus überhaupt: Der Soldat ist weltanschaulich und sittlich instabil, er ist weltanschaulich und sittlich vereinsamt, sein möglicher Feind lässt sich weltanschaulich und sittlich nicht einordnen, fordert aber jederzeit und weltweit zum Kampf heraus. Es ist in dieser Lage nicht verwunderlich, dass einige Soldaten sich in weltanschauliche und sittliche Schließungen flüchten, in Wehrmachtsromantik oder in nationalistische Radikalität. Andere wiederum fliehen in Entpolitisierung und Professionalisierung, verstehen sich als willige Parlamentssoldaten, als Funktionselite unter dem Primat einer parlamentarisch legitimierten (globalen) Gewaltpolitik.
Der Geburtsfehler der Bundeswehr fällt uns gegenwärtig auf die Füße. Da helfen nun allerdings keine restaurativen Stabilisierungsversuche. Da hilft keine aktualisierende Erneuerung des Staatsbürgers in Uniform durch ein von der deutschen Verteidigungsministerin initiiertes Programm Innere Führung heute. Es hilft schon gar nicht das, was einige alte Männer fordern: die Rückkehr zur Wehrpflicht. Es hilft allein der radikale und endgültige Abschied vom repräsentativen Weltanschauungssoldaten.

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