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Sonntag, 21. Mai 2017

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Ich bin davon überzeugt, dass wir uns heute vom repräsentativen Weltanschauungssoldaten verabschieden müssen. Was ich damit meine, will ich kurz andeuten.

Bei der Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte nach 1945 hätte der Soldat der säkularen Moderne, der im nationalsozialistisch gebrauchten und missbrauchten Soldaten Überhöhung und Ende findet, nicht wiederbelebt werden dürfen (was im Staatsbürger in Uniform faktisch geschieht). Wesentliche Schlüsse wären schon damals möglich und sinnvoll gewesen (und manche Zeitgenossen, wie etwa Werner Picht, haben diese Schlüsse zumindest geahnt).

Soldaten und Streitkräfte dürfen nicht mehr nach Idealen funktionieren. Ihr Wofür darf weder eine spezifische Weltanschauung noch eine spezifische Sittlichkeitsvorstellung sein, also auch kein Wertefundament einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Soldaten und Streitkräfte müssen sich der Politik auch entziehen können. Einen bedingungslosen Primat der Politik (vollendet symbolisiert im Führereid) darf es nicht mehr geben. Soldaten und Streitkräfte einerseits, Volk oder Gesellschaft andererseits, dürfen nicht mehr in einem wechselseitigen Repräsentations-, schon gar nicht in einem wechselseitigen Identitätsverhältnis stehen. Streitkräfte dürfen kein Abbild von Volk oder Gesellschaft mehr sein (gleiches gilt selbstverständlich auch umgekehrt).
Streitkräfte jenseits der säkularen Moderne müssen (zumindest vorläufig) so gedacht und eingerichtet werden, dass sie nicht mehr als schlichte Funktion eines Ideals, nicht mehr als schlichte Funktion von Politik und auch nicht mehr als schlichte Funktion von Gesellschaft gebraucht oder gar missbraucht werden können. Nachmoderne Streitkräfte müssen in gewissem Sinne heimatlos sein – um vor allem eines praktizieren und notfalls auch gegen Politik oder Gesellschaft durchsetzen zu können: militärische Zurückhaltung. Nachmoderne Streitkräfte, so meine These (die ich hier nicht ausführlich hinterlegen kann), dürfen allein noch einen Zweck haben, dürfen nur noch ein Wofür kennen: den defensiven Schutz der Existenz derjenigen, für die ihnen Verantwortung übertragen ist (was, nebenbei bemerkt, unter globalen Bedingungen nicht mehr allein in nationalsstaatlichen Grenzen stattfinden kann). Zur Verfolgung dieses Zwecks müssen Streitkräfte in höchstem Maße kompetent und fähig sein, sie müssen aber ebenso kompetent und fähig sein, sich allen anderen Zwecksetzungen zu entziehen. Anders formuliert: Nachmoderne Streitkräfte müssen kompetent und fähig werden, die besseren Pazifisten zu sein.

In Überlegungen zu einem möglichen Nachfolger des Staatsbürgers in Uniform habe ich vor einigen Jahren konkrete Vorschläge formuliert, wie heimatlose (deutsche) Streitkräfte im angedeuteten Sinne vorbereitet werden könnten:

(1) Umbruch im äußeren Gefüge der Streitkräfte
  • Änderung und Präzisierung der Wehrverfassung: (a) Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, (b) Klärung des Auftrags der Streitkräfte, d.h. Konzentration auf die gewaltsame Abwehr existenzbedrohender Ansprüche im In- und Ausland
  • Freistellung der Streitkräfte als Instrument physischer Gewaltsamkeit: (a) Abbau ziviler Fähigkeiten, (b) bundesweiter Aufbau eines nicht-militärischen Zivil- und Katastrophenschutzes unter Führung eines eigenständigen Ministeriums mit entsprechendem Pflichtdienst für alle Bürger ohne Verweigerungsrecht
  • Weiterentwicklung der Streitkräfte zu einer schlagkräftigen Berufsarmee: (a) Öffnung für internationale Bewerber bei gleichzeitiger Anhebung der psychischen und physischen Anforderungen, (b) Anhebung der Bezüge in allen Dienstgradgruppen und der Standards für Ausrüstung, Bewaffnung und Gerät
(2) Umbruch im inneren Gefüge der Streitkräfte
  • Auflösung der staatsbürgerlichen Erfahrungswelt: (a) Abbau der Kompromisskonstruktionen in den Gestaltungsfeldern der Inneren Führung, insbesondere in den Bereichen Menschenführung, politische Bildung sowie Recht und soldatische Ordnung, (b) vollständige Neufassung des inneren Gefüges unter der Maßgabe einer professionsgemäßen Heimatlosigkeit und Fokussierung des Soldaten, (c) Aufbau einer eigenständigen Militärgerichtsbarkeit
  • Neuansatz in der Führerbildung: (a) Auflösung der Offizierschulen sowie der Forschungs- und Bildungsinstitutionen, die in ihrer Ausgestaltung wesentlich der staatsbürgerlichen Idee geschuldet sind (insbesondere Universitäten, Führungsakademie, Zentrum Innere Führung, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften), (b) nach internationalem Vorbild Gründung einer strikt auf den Auftrag konzentrierten Militärhochschule als geistes-, sozial- und militärwissenschaftlicher Think Tank der Streitkräfte und Alma Mater der Offiziere, (c) Einrichtung analoger Strukturen für die Unterführerbildung
(3) Umbruch im Verhältnis von Politik und Militär
  • Öffnung des Prinzips der Parlamentsarmee: (a) Erleichterung und Flexibilisierung des Gebrauchs der Streitkräfte durch die Regierung, (b) zugleich Lockerung von Bündnisverpflichtungen sowie Erleichterung und Flexibilisierung des Streitkräfteeinsatzes abseits übernationaler Mandatierungen und kollektiver Sicherheitssysteme
  • Öffnung des Primats der Politik: (a) Einrichtung eines Generalstabes als oberste Führung der Streitkräfte (Generalstabchef, Chefs der Generalstäbe der Teilstreitkräfte), Berufung auf Zeit durch das Parlament, (b) Kontrollrecht, in einer Übergangsepoche erweitert zu einem Vetorecht des Generalstabes gegenüber Einsatzentscheidungen der Regierung

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