Durch diese Figur hindurch lassen sich schon die hochmittelalterlichen, vor allem aber die reformatorischen Denk- und Lebensbewegungen als Krisenphänomene begreifen. Weber und Troeltsch umkreisen die theoretische und praktische Gotteskrise der Reformation, indem sie wesentliche dogmatische und ethische Symbole der Reformation identifizieren und diese Symbole auf ihre kulturgeschichtliche Wirkung hin untersuchen. Die eigentliche Krise, die sich in allen dogmatischen und ethischen Wendungen und Wirkungen der Reformation Ausdruck verschafft, benennen sie jedoch allenfalls beiläufig: die Krise der sich aufzwingenden Neubestimmung des Verhältnisses von Gotteswirklichkeit und Weltwirklichkeit.
Gott und Welt treten spätestens in der Reformation (wieder) wesentlich auseinander, und so sind alle reformatorisch inspirierten religiösen Bewegungen letztlich mit nichts anderem beschäftigt, als mit einer Neubestimmung und Neuvergewisserung Gottes einerseits, mit einer Neubestimmung und Neuvergewisserung der Welt andererseits. Auch die von Weber beobachtete rastlose Berufsarbeit des Puritaners ist ja bloß vordergründig und oberflächlich Selbstvergewisserung von Erwähltheit und Seelenheil durch praktische Bewährung des Glaubens. Im Kern geht es hier um die wesentlich fundamentalere Vergewisserung der Wirklichkeit Gottes, der Wirklichkeit des Geglaubten überhaupt. Und dass diese Vergewisserung scheitert, dass sich der Gegenstand der Vergewisserung im Vollzug calvinistisch-puritanischen Glaubens und Lebens als Wirklichkeit endgültig verflüchtigt – das ist der wohl entscheidende (religiöse) Beitrag des Protestantismus zur Heraufkunft der säkularen Moderne und ihrer sinnlosen Lebensmechanik.
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