Ich würde vorläufig vielleicht so formulieren: Jeder beliebige Zweck (er mag Lebewesen, Gegenstand, Zustand oder was auch immer sein), der uns als Befehl entgegen tritt und Gehorsam beansprucht, der unsere Leidenschaft, unsere Interpretation und Praxis an sich zu reißen und zu bestimmen versucht, der ist unser Gott. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Gott als Transzendenz oder als Immanenz begegnet.
Die Macht dieses Gottes wächst, je unbedingter er auftritt und je dominanter er sich gegenüber anderen Göttern (Zwecken) gebärdet, je resoluter er also andere Götter (Zwecke) zu verdrängen versucht (Zweckmonotheismus). Mit der Macht eines einzigen Zweckes wächst die disziplinierende Macht über alle anderen Zwecke, zugleich aber auch die Neigung zur Gewaltsamkeit der Disziplinierung.
Die Macht dieses Gottes nimmt ab, je bedingter, selbstrelativierter er auftritt und je anerkennender, gar wertschätzender er sich gegenüber anderen Göttern (Zwecken) zeigt, je nachdrücklicher er also auch anderen Göttern (Zwecken) Gerechtigkeit widerfahren lassen will (Zweckpolytheismus). Mit der Gleich-Gültigkeit und Gleich-Mächtigkeit einer Vielzahl von Zwecken geht die unterscheidende und disziplinierende Macht über die Zwecke verloren. Das Blatt wendet sich: Nicht mehr wir kämpfen (zweckgebunden) gegen die Zwecke, sondern die Zwecke kämpfen um uns. Die Zwecke gewinnen unberechenbare und unbeherrschbare Gewalt über uns.
Der Gott des reservativen Glaubens ist Aufhebung und Überwindung jedes Zweckes als Gott. Er verungültigt (als ob nicht) Zweckmonotheismus und Zweckpolytheismus gleichermaßen. Nicht, um nun gewissermaßen zweckfrei leben zu können. Das ist weltwirklich nicht möglich. Im reservativen Glauben wird uns lediglich eröffnet, Zwecke zu wählen und zu gebrauchen, und nicht mehr durch Zwecke gewählt und gebraucht zu werden.
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