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Freitag, 26. April 2019

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Jedes Denken steht auch, vielleicht vor allem vor dem Problem, dass andere anders denken, dass andere nicht denken wollen oder dass andere (wohl die meisten) nicht denken können. Jedem Denken, auch jedem Nicht-Denken korrespondiert ein Handeln, ein Handeln in raum-zeitlichem Beisammensein, jedes Denken kann also nicht anders, als politisch zu sein. Jede Philosophie ist zuletzt unvermeidlich politische Philosophie, jede Theologie ist zuletzt unvermeidlich politische Theologie.
Die (okzidentalen) politischen Philosophien und Theologien der Gegenwart sind nach wie vor, sind ganz traditionell darum bemüht, das Problem des Anders- und Nicht-Denkens zu lösen: durch Diskurs (Begründung), durch Struktur (Form), durch Kontext (Substanz), durch Macht (Gewalt). Diese Lösungsversuche setzen allerdings nach wie vor, setzen ganz traditionell auf die Annahme einer vorgegebenen oder auf die Annahme einer herstellbaren Harmonie – und sei es bloß auf eine Harmonie im Fluss, auf eine Harmonie in Bewegung.
Jedoch: Das Problem des Anders- und Nicht-Denkens, das Problem der Anders- und Nicht-Praxis (Nicht-Praxis verstanden als ein Handeln, das nicht bedacht ist) lässt sich nicht lösen. Harmonie und Harmonisierbarkeit sind traditionelle okzidentale Illusionen. Ein politisches Denken, dass sich von diesen Illusionen verabschiedet und das unlösbare Problem des Anders- und Nicht-Denkens zumindest zu handhaben, vielleicht zu moderieren ermöglicht, steht nach wie vor aus.

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