Lese gerade das Buch Zeit der Zauberer. Wolfram Eilenberger
versucht hier in einer schönen Komposition die Existenzen Walter Benjamins, Ernst
Cassirers, Martin Heideggers und Ludwig Wittgensteins in ihrem Neben-, Zu- und
Gegeneinander zu begreifen. Erste Eindrücke in aller Kürze.
Erschreckend ist die Selbst-Zentriertheit, ja, die
In-Sich-Selbst-Verkrümmtheit, die sich insbesondere im Denken Benjamins,
Heideggers und Wittgensteins Ausdruck verschafft. Wenn Denken nichts anderes
ist als Äußerung des Selbst, wenn es nicht zugleich auch einen Beitrag leistet
zur Emanzipation vom Selbst, dann kann dieses Denken durchaus aufklären.
Befreien kann es nicht. Es wird vielmehr zur Gefahr für die Freiheit.
Für Wittgenstein empfinde ich ein besonderes Erbarmen. Seine
Lebenspraxis demonstriert in radikaler Weise einen der möglichen Auswege, auf den
die unvermeidliche und unhintergehbare Grenzziehung des Tractatus
logico-philosophicus zutreiben kann: religiöse Mystik, weltflüchtige Askese,
verbissene Moralität. Ein trauriges Beispiel für das Ende der
Freiheit durch Aufklärung.
Bei Cassirer sehe ich mich in meiner Selbstentlastung bestätigt
(zu Nr. 419): Ein verändertes Denken (und damit eine veränderte kulturelle Praxis)
braucht keine neue Sprache, kein neues Symbolsystem. Letztlich ist es
gleichgültig, welche Begriffe wir verwenden und in welcher Weise wir Begriffe
verbinden. Entscheidend ist die Interpretation von Wirklichkeit, die sich in
Sprache Ausdruck verschafft. Gleiche oder zumindest ähnliche Interpretationen
können in ganz unterschiedlichen Sprachen in Erscheinung treten. Und hinter
einer vermeintlich gleichen Sprache können sich ganz unterschiedliche
Interpretationen von Wirklichkeit verbergen. Die Frage eines veränderten
Denkens und einer veränderten Praxis lautet also nicht: Wie neu sprechen?
Sondern: Wie neu interpretieren? Damit müssen wir uns aber zugleich von jedem
sprachumkonstruktivistischen Idealismus verabschieden. Zweifellos haben
Interpretationen auch etwas mit Sprache zu tun. Sie werden auch durch Sprache gebildet
und sie lassen sich in Sprache fassen. Zum großen, wohl zum überwiegenden Teil
sind sie jedoch dem Zugriff und dem Ausdruck durch Sprache entzogen.
Interpretationen sind, so seltsam dies erscheinen mag, vor allem vor- und außersprachlicher
Natur – und damit weitgehend unverfügbar. Nicht zuletzt politisch.
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