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Freitag, 12. April 2019

453

Zu Nr. 451: Es muss gelegentlich daran erinnert werden, dass die moderne „Gottesfinsternis“ auch nichts anderes ist, als eine Interpretation – wenngleich eine Interpretation, hinter die wir auf intellektuell redlichem Wege nicht mehr zurück können, nicht mehr zurück dürfen.

Und es muss gelegentlich daran erinnert werden, dass die moderne Unauffindbarkeit Gottes als Interpretation, die interpretatorische Verdrängung Gottes aus allem Weltwirklichen hervorgegangen ist auch und nicht zuletzt aus ihrem radikalen Gegenüber, aus der reformatorischen, insbesondere aus der calvinischen Annahme einer totalen Auffindbarkeit Gottes, einer Sichtbarkeit Gottes in allem Weltwirklichen. Calvin beantwortet die hoch- und spätmittelalterlich drängender werdende Frage nach Gott mit dessen Präsenz in jeder noch so kleinen und in jeder noch so großen Ordnung und Kausalität der Schöpfung. Dabei unterscheidet er strickt zwischen Schöpfer und Geschaffenem. Das bedeutet: Im Geschaffenen ist nicht das Wesen Gottes präsent. Diese Interpretation ist Calvin nicht mehr möglich. In Ordnung und Kausalität des Geschaffenen äußert sich allein der Wille Gottes. Allerdings: Es äußert sich nicht der Wille Gottes an sich. Auch in diese Interpretation kann Calvin intellektuell redlich nicht mehr zurück. Im Weltwirklichen äußert sich allein der Wille Gottes für das Geschaffene, für das Gebäude und für den Lauf der Welt.

Heerscharen von calvinistisch imprägnierten Denkern und (empirischen) Wissenschaftlern der werdenden Moderne haben die calvinisch behauptete, totale Sichtbarkeit Gottes zu demonstrieren und sogar zu berechnen versucht. Ihre Tragik: Der total sichtbare Gott ist in der Weltwirklichkeit ununterscheidbar, kann sich damit früher oder später nur verflüchtigen, kann nur total unsichtbar, kann nur unauffindbar werden.

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