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Montag, 30. Januar 2017

228

„Der Mensch ist frei geboren“, sagt Rousseau, „und überall liegt er in Ketten“. Der Satz hat, wie ein typischer Kalenderspruch, etwas Anrührendes, ist aber in seiner Pointierung falsch.

Samstag, 28. Januar 2017

227

Donald Trump erfüllt im Eiltempo seine Wahlversprechen, so heißt es. Bei aller Fragwürdigkeit in der Sache: Das Interessante, das geradezu Amüsante daran ist, wie sehr Trump damit das liberal-bürgerliche System irritiert. Zum einen: Wahlversprechen werden tatsächlich eingehalten. Zum anderen: Es wird Politik gemacht, es wird entschieden. Das liberal-bürgerliche System kennt weder das eine noch das andere. Es kennt allein die Exekution der ihm einprogrammierten Rationalität.

Freitag, 27. Januar 2017

226

In meinem kurzen Text zu Derridas Entscheidungstheorie habe ich den Gedanken eines enthaltsamen Rechts formuliert. Das scheint dem Rechtsverständnis reservativer Interpretation schon recht nahe zu kommen. Wir müssen uns auf ein Recht und einen Rechtsgebrauch zubewegen, die ausreichend, vielleicht sogar weitreichend offen sind für gerechte (politische) Entscheidungen. Diese Entscheidungen dürfen allerdings nicht mehr als so offen und unbestimmt gedacht werden, wie Derridas dekonstruktive Entscheidungen. Gerechte Entscheidungen müssen reservativ gegründet sein und reservativ schließen. Von repräsentativen Entscheidungen unterscheiden sich reservative Entscheidungen dadurch, dass sie sich keiner Annahme möglicher Wirklichkeitsordnung unterwerfen und dass sie sich nicht in ein normatives Ordnungssystem fassen lassen.

Mittwoch, 18. Januar 2017

225

Ich arbeite gerade an einem kleinen Text zu Derridas Entscheidungstheorie, erstaunlich systematisch vorgetragen in Gesetzeskraft. Und noch einmal wird mir bewusst, wie viel ich dem dekonstruktiven Denken verdanke, insbesondere in seiner politischen Wendung. Die Begegnung mit Derrida hat mir endgültig die metaphysische Brille abgenommen, durch die hindurch ich geglaubt habe, die Weltwirklichkeit anschauen und anordnen zu müssen.

Montag, 16. Januar 2017

224

Es gibt eine (Sehn)Sucht nach Schließung, nach Gegenwärtigkeit oder Zukünftigkeit eines Unveränderlichen im Veränderlichen. Diese (Sehn)Sucht ist geboren aus der Angst vor dem immer kommenden (drohenden) Anderen. Politisch äußert sich diese Sucht etwa in Nationalismen, aber durchaus auch in den Vergleichgültigungsversuchen, die mit dem Instrumentarium des Menschenrechts unternommen werden. Wenn einst alles gleich sein wird, dann wird auch der, die oder das Andere überwunden sein.

Freitag, 13. Januar 2017

223

Derrida spricht in Anlehnung an Kierkegaard gelegentlich davon, der Augenblick einer Entscheidung sei Wahnsinn (Kierkegaard hat an der von Derrida gebrauchten Stelle allerdings 1 Kor 1,18 im Sinn. Emanuel Hirsch übersetzt daher treffend mit Torheit).
Ich selbst denke und erfahre den Augenblick der Entscheidung dagegen (reservativ und eben nicht mehr dekonstruktiv) als Befreiung. Wahnsinn ist eher die Zwischenzeit, in der nicht nur der Augenblick der Entscheidung, sondern auch das zu Entscheidende im Werden ist. Das ist die Zeit des unbestimmten und doch offenen und hörenden Wartens. Das ist die Zeit des Kreuzes, der Torheit des Kreuzes. Karsamstag.

Donnerstag, 12. Januar 2017

222

„Niemand will soviel Reformen durchführen wie Kinder“ (Franz Kafka). Aber alle Reform des einzelnen Kindes stößt auf die Beweisführung und Gewalt des Allgemeinen. Bei Kafka wird einem Jungen, der des Nachts noch lesen will, das Gas des Leuchters abgedreht. Ihm wird erklärt: „Alle gehen schlafen, also mußt auch Du schlafen gehen.“

Mittwoch, 11. Januar 2017

221

Gut ist nicht immer das, was allgemein als gut gilt, ist nicht immer das moralisch oder rechtlich Gute, auch nicht immer das mit den Mitteln normativer Ethik ermittelte Gute. Gut kann auch das sein, was allgemein als Böse gilt. Böse ist nicht immer das, was allgemein als böse gilt, ist nicht immer das moralisch oder rechtlich Böse, auch nicht immer das mit den Mitteln normativer Ethik ermittelte Böse. Böse kann auch sein, was allgemein als Gut gilt.

Dienstag, 10. Januar 2017

220

Gibt es einen Zeitpunkt, an dem man den Kampf aufgeben und einen Menschen als an die Weltwirklichkeit verloren anschauen muss? Damit mag ich mich nur schwer abfinden.