Der Macht des Unvermögens kommen wir nicht durch Bemühungen um Gerechtigkeit, Integration oder Inklusion bei. Diese Bemühungen setzen ja nach wie vor auf Vermögen – mittlerweile selbst auf geringste, nicht selten geradezu lächerliche (Rest-)Vermögen, denen eine Brücke gebaut, eine Plattform geboten oder ein Schutzraum geschaffen werden soll. Unser eigenes Unvermögen und das Unvermögen anderer Menschen ist damit jedoch weder angenommen noch aufgefangen. Seiner Macht sind wir zunehmend hilflos ausgeliefert.
Unter den Bedingungen unseres sozialen, politischen und ökonomischen Systems haben wir uns daran gewöhnt, allein auf das Vermögen (Talente) und die damit gegebene Macht zu blicken, auf unser eigenes Vermögen und unsere eigene Macht, auf Vermögen und Macht anderer Menschen. In der Konfrontation der Vermögen und ihrer Macht versuchen wir, uns zu verorten und zu behaupten. In dieser Konfrontation setzen wir uns durch – oder wir werden verdrängt.
Im Grunde genommen ist unser soziales, politisches und ökonomisches Miteinander nichts anderes als eine Casting-Show im großen Stil. Wir sind darauf konditioniert, unser Unvermögen zu ignorieren oder zu verbergen. Wir sind darauf konditioniert, unausgesetzt von Menschen, Kollektiven oder Institutionen auf unser Vermögen hin gecastet, mit dem grünen Buzzer anerkannt oder mit dem roten Buzzer zurückgewiesen zu werden. Umgekehrt casten wir natürlich auch selbst, unterwerfen uns selbst, andere Menschen, Kollektive oder Institutionen pausenlos unserem Vermögens-Urteil.
Die Folgen sind fatal. Unser Lebenssystem macht uns unfähig, die Macht unseres eigenen Unvermögens und die Macht des Unvermögens anderer zu handhaben. Und so kann diese Macht hinter- und untergründig ihre destruktiven Wirkungen entfalten – zunächst und vor allem im Raum unserer Nahbeziehungen. Hier ist die Macht des Unvermögens unmittelbarer wirksam als sonst wo. Da wir aber inzwischen auch in unseren Nahbeziehungen im Casting-Modus funktionieren, sind wir hier von der starken Präsenz des Unvermögens massiv überfordert. Unser eigenes Unvermögen erscheint uns (wenn uns diese Restsensibilität noch geblieben ist) als unzumutbar, das Unvermögen der anderen als unerträglich. Und so scheitern unsere Nahbeziehungen heute wohl weniger an der Konfrontation der Vermögen, als vielmehr am Unvermögen, die Macht des Unvermögens zu entmachten.
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