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Freitag, 25. November 2016

211

Schreiben ist ein merkwürdiger Prozess. Wenn ein Satz nach unzähligen Basteleien das trifft, was er treffen soll, wenn ihm die Kraft innewohnt, die ich mir von ihm erhofft habe, dann ist völlig unklar, ob sich in diesem Satz etwas aufklärend ausdrückt, was zuvor bereits in mir verborgen angelegt war, oder ob dieser Satz selbst etwas in mich hineinlegt, was zuvor noch gar nicht da war. Schreiben ist also ein nicht zu entschlüsselndes Ineinander von Selbstausdruck und Selbstaufklärung.

Donnerstag, 24. November 2016

210

In der philosophischen Auseinandersetzung, in die ich mich gerade denkend zurückgezogen habe, spüre ich noch einmal deutlich meine Grenzen. Ich bin nicht vom Fach. Philosophisch bin ich ein Autodidakt, gerade so, wie ich theologisch ein Autodidakt bin. Das erlebe ich immer als Risiko, aber auch immer als Chance. Ich laufe fortwährend Gefahr, mich lächerlich zu machen. Ich bin aber auch unbeschwerter bereit, die alte Furche zu verlassen und ein Neues zu pflügen.

Dienstag, 15. November 2016

209

Wer einen Eindruck davon gewinnen will, was Jean-Luc Nancy mit der Behauptung meinen könnte, das Christentum erfülle sich im Nihilismus und als Nihilismus, der muss sich ein wenig in der Emerging-Church-Bewegung (Emergent-Bewegung) umschauen. Man versteht sich hier als christliche Antwort auf die Postmoderne, behauptet eine Wiederentdeckung und Wiederbelebung des wahren Christentums unter postmodernen Vorzeichen und Bedingungen. Tatsächlich aber ist die Emergent-Bewegung nicht mehr als ein Symptom des christlich provozierten Nihilismus. Da ist nichts Neues (wieder-)angeeignet, da ist lediglich etwas falsch verstanden, oder besser: nach wie vor hilflos uminterpretiert worden.

208

Während wir die Macht über unser Unvermögen verlieren, nimmt zugleich die Vermögens-Zumutung, der Vermögens-Druck zu. Beispiel: gymnasialer Unterricht. Hier beobachte ich in den vergangenen Jahren unter anderem zwei Bewegungen.

Montag, 14. November 2016

207

Von unserem vielfältig bedingten Unvermögen psychischer, physischer oder anderer Art geht eine verborgene subversive Macht aus, die weitaus größer ist als die Macht, die wir mit unserem Vermögen je ausüben könnten.

Freitag, 11. November 2016

206

Donald Trump wird Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Für mich ist diese Wahl vor allem ein Symptom dafür, dass nicht wenige Menschen, vermutlich sogar die überwiegende Mehrheit, auch künftig Schließungen brauchen werden. Trump ist Ausdruck der Sehnsucht, des Bedürfnisses nach Schließung, nach Abschließung gegenüber der zunehmenden, überfordernd verunsichernden Gleich-Gültigkeit durch Rekurs und Rückzug auf eine verlässliche, gemeinsame, verbindende Gültigkeit.

Sonntag, 6. November 2016

205

Auch die Schwachheit kann sich, ähnlich wie die Dummheit, repräsentativ wenden. Dann übt der Schwache, ähnlich wie der Dumme, auf seine ganz eigentümliche Weise Macht aus. Schwachheit reservativ zu handhaben, ist, wie die reservative Handhabung der Dummheit, eine besonders knifflige Aufgabe. Sie wird schier unlösbar, wenn Schwachheit und Dummheit sich paaren.

Samstag, 5. November 2016

204

Ich arbeite gerade an einem Essay zur Kritik des Liberalismus. Wenn man die hintergründigen, oft unbewussten Funktionalitäten, in die uns unser gegenwärtiges politisches, soziales und ökonomisches System hineinzwingt, einmal rücksichtslos ans Tageslicht zerrt, dann erscheint es geradezu lächerlich, dieses System als freiheitlich zu bezeichnen. Und es erscheint zunächst verwunderlich, dass dieses System so beeindruckend funktionstüchtig ist, dass wir selbst bereit sind, seine Funktionstüchtigkeit zu gewährleisten. Allerdings: Es belohnt uns ja auch mit unzähligen Annehmlichkeiten. Es bedient also unsere eigenen Funktionen und wirkt damit wie ein Betäubungsmittel.