Wichtig ist zunächst die entzaubernde Annahme, dass Sprache nichts anderes ist als Weltwirklichkeit – genauso wie das, was sich in Sprache Ausdruck verschafft und sich durch Sprache bildet: das Bewusstsein, der Geist. Das meint zunächst: Sprache ist nicht Einbruch einer oder Zugang zu einer anderen oder gar ganz anderen (göttlichen) Wirklichkeit. Das meint auch: Sprache ist ein wirklichkeitsimmanent-repräsentatives, unablässig sich wandelndes, offenes und nicht schließbares Bezeichnungs- und Verweissystem, mit dessen Hilfe wir Weltwirklichkeit provisorisch und flüchtig erfassen und erschaffen, abbilden und hervorbringen – ohne jedoch Weltwirklichkeit in Sprache jemals zu haben.
Entscheidend ist nun die Überwindung der stillen Annahme, die wir sprechend immer und vermeintlich notwendig voraussetzen: die Annahme der Gültigkeit dessen, was wir mit Sprache erfassen und erschaffen, was wir abbilden und hervorbringen, die Annahme vor allem unserer eigenen Gültigkeit, der Gültigkeit der cartesianischen Setzung „also bin ich“, die Annahme einer Gültigkeit, die wir gerne auch religiös oder metaphysisch aufladen und damit geradezu normativ setzen. Es gilt nicht nur, es soll auch gelten. Wir sind nicht nur, wir sollen auch sein – so etwa die Behauptung der christlichen Schöpfungstheologie oder die des modernen Menschenwürdekonzeptes.
Unsere Aufgabe liegt darin: Von den stillen Gültigkeitsannahmen unserer Sprache müssen wir uns lösen. Sie müssen außer Kraft gesetzt und ersetzt werden durch eine stille Ungültigkeitsannahme. Dann können wir weiter sprechen wie bisher, und doch ist dann unsere Sprache eine andere. Wir können die gleichen Begriffe gebrauchen, die wir schon immer gebraucht haben. Wir erliegen jedoch nicht mehr ihrem verführerischen Schein, ihrem Drängen und Ziehen.
Erster Nachgedanke: Es gibt Begriffe, die sich einer Ungültigkeitsuminterpretation zu verweigern scheinen (und auf manche Begriffe müssen wir künftig vielleicht besser verzichten). Besonders sperrig ist etwa der christlich-theologische Begriff der Offenbarung. Doch auch dieser Begriff lässt sich reservativ wenden. Zunächst ist in göttlicher Offenbarung selbstverständlich keine göttliche Substanz gegeben. Der sich sprechend offenbarende Gott offenbart nicht sein Sein, schon gar nicht sein Sosein (wenn, dann bloß zum Schein). Mit dem im Wort offenbarten Gott ist nichts anderes offenbart als die Ungültigkeit jeder Wirklichkeit, die anders ist als die Gotteswirklichkeit. Diese Offenbarung ist das Ende aller repräsentativen religiösen Denk- und Lebenssysteme.
Zweiter Nachgedanke: Die Reformatoren versuchen noch, die Substanz Gottes im Wort zu retten durch die ockhamistische Unterscheidung zwischen Gott an sich und Gott für mich. Das ist ein theologisches als ob, das uns nach dem dekonstruktiven, gegen die Verheißung von Sprache selbst sich richtenden Sprachbildersturm des 20. Jahrhunderts als intellektuell unredlich erscheinen muss. Das theologische Gebäude, das auf diesem als ob errichtet ist, ist nicht mehr.
Dritter Nachgedanke: Bonhoeffer hofft auf eine nachreligiöse Sprache. „Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.“ Jesus hat allerdings nicht anders gesprochen, als seine Zeit- und Kulturgenossen auch. Er hat die gleichen Begriffe und Wendungen gebraucht. Was Jesu Sprache (und später in verschärfter Weise die paulinische Sprache) von der Sprache seiner Zeit und Kultur unterscheidet, ist die stille (messianische) Ungültigkeitsannahme. Diese Annahme verleiht Jesu Denken und seinem Leben die wirklichkeitsüberwindende Gewalt. Jesus nimmt an, dass die Gotteswirklichkeit nicht kommt und dass sie nicht in repräsentativen Gültigkeiten kommt. Er nimmt an, dass die Gotteswirklichkeit als eine verungültigende schon immer mitten unter uns ist (Lk 17,20–21). Sein Problem: Seine Zeit- und Kulturgenossen, auch seine Jünger können nicht anders, als die Gotteswirklichkeit als Gültigkeit zu begreifen.
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