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Montag, 26. November 2018

422

Bohemian Rhapsody angeschaut. Mit gutem Grund hatte ich angenommen, mich diesem Film alleine stellen und ohne Begleitung ins Kino gehen zu müssen. Ich war davon ausgegangen, dass der Film manches aufwühlen würde. Und so war es dann auch.

Donnerstag, 22. November 2018

421

Ein Freund schickt mir eines dieser viralen WhatsApp-Videos: Zehn Teilnehmer eines Seminars stehen in einem kleinen Raum im Halbkreis, im Hintergrund an der Wand hängt ein großes Kreuz. Der Leiter der Gruppe fordert einen jungen Mann dazu auf, sich in die Mitte auf einen Stuhl zu stellen und die Augen zu schließen. Mit sonorer Stimme und beruhigenden Worten erklärt er, es gehe bei der folgenden Übung um Vertrauen. Er werde gleich bis drei zählen, und dann solle sich der Mann einfach fallen lassen. Die Gruppe werde ihn auffangen.
Die Gruppe tritt hinter dem Mann zusammen, streckt die Arme aus, um eine sichere und weiche Landung vorzubereiten. Der Gruppenleiter zählt bis drei, der junge Mann lässt sich fallen. Nach vorne. Panik in den Augen des Leiters. Sein Aufschrei und sein hektischer Sprung können nichts mehr retten. Der junge Mann schlägt ungebremst mit dem Gesicht voran auf den Boden.
Ein tragisch-komisches Video. Für mich spontan ein treffendes Symbol für das Vertrauen in die Verheißungen des religiösen, des sichtbaren Gottes. Wortreich verspricht dir dieser Gott, er werde da sein, wenn du ihn brauchst. Er werde dich auffangen, wenn du fällst. Du lässt dich blindlings fallen. Die Folge: Eine gebrochene Nase und zertrümmerte Zähne. Dein Fehler: Der religiöse, sichtbare Gott bindet seine Verheißung an die Erwartung, dass Du mit geschlossenen Augen in die richtige Richtung fällst. Und dabei verrät er Dir natürlich nicht, wo er gerade steht.

Mittwoch, 21. November 2018

420

Bildung ist Erschließung einer möglichst großen Vielfalt von Interpretationen, dann aber auch Aufklärung über die Ungültigkeit dieser Interpretationen. Unbildung verleitet manche dazu, lediglich die eigene Interpretation und diese auch noch als (einzig) gültige wahrzunehmen. Andere lässt Unbildung glauben, irgendwo da draußen unter den vielen unbekannten Interpretationen gebe es noch eine gültige. Dummheit und Hochmut gehen gut zusammen, Dummheit und Wankelmut aber auch. Reservativer Bildung dagegen entwachsen Demut und innere Stabilität.

Freitag, 16. November 2018

419

Eine Selbstentlastung (zu Nr. 154, 199, 365): Es muss keine neue Sprache erfunden werden, um reservativ denken und leben zu können.

Donnerstag, 15. November 2018

418

Es ist wahr, dass das Alter gelegentlich seine Müdigkeit und Schwäche mit Weisheit verwechselt. Es ist aber auch wahr, dass sich in Müdigkeit und Schwäche des Alters durchaus Weisheit verbirgt.

Dienstag, 6. November 2018

417

Vor dem Winter kleinere Reparaturen am Fahrrad. Und es kommt, wie es immer kommt: Ein Augenblick der Unachtsamkeit, der Schraubenschlüssel rutscht ab, die Fingerrücken streifen kurz über den rauen Teer, die kalte gespannte Haut reißt auf. Kleine Verletzungen, die merkwürdig stark bluten und deren Heilung eine Weile dauern wird.

Montag, 5. November 2018

416

Die normative Erzählung von der Würde des Menschen verlangt von uns, Menschenleben nicht zu verrechnen. Die Zahl der Menschenleben darf unter den Vorgaben der Menschenwürde in normativen Entscheidungssituationen keine Rolle spielen. Warum aber erscheinen uns dann (ganz im Sinne eines zentralen christlichen Motivs) einzelne Menschen, die sich für viele Menschen (sagen wir: 100) opfern würden, als vorbildlich? Und warum würde es uns merkwürdig unangenehm aufstoßen, wenn ein einzelner Mensch, der viele Menschen (sagen wir: 100) durch sein Selbstopfer hätte retten können, die Unterlassung der rettenden Tat unter Berufung auf die Menschenwürde in seiner eigenen Person und auf die Unverrechenbarkeit dieser Würde rechtfertigen würde?

415

Jeder Sinn ist Rechtfertigung der Welt. Rechtfertigung aber nicht im Sinne einer Verungültigung, sondern im Sinne einer Behauptung des Daseins und Soseins der Welt. Insofern ist Sinn immer auch eine Erscheinungsform von Sünde. Das Christentum macht sich gemein mit dieser Erscheinungsform durch seine wirklichkeitslegitimierende Schöpfungstheologie und durch seine transformative Soteriologie.