Seiten

Montag, 30. Juli 2018

398

In der Postagentur die übliche Kundenschlange, die Sommerhitze schlägt in dem kleinen Laden doppelt zu. Ich warte schon eine Weile, nun wird der Herr vor mir bedient. Er will Geld abheben, stellt jedoch laut seufzend, sich selbst hörbar beschimpfend fest, er habe versehentlich bloß die Bankkarte seiner Lebensgefährtin dabei. Er beantragt eine Notauszahlung. Formulare, Anrufe, Unterschriften. Es dauert.

Plötzlich hetzt ein junges Mädchen an der Warteschlange vorbei. Sie ist vielleicht 18 Jahre alt, ausnehmend hübsch, teuer gekleidet und mit großer Wahrscheinlichkeit daran gewöhnt, dass allein ihr Augenaufschlag sämtliche Hindernisse beiseite räumt, ihr sämtliche Türen öffnet. „Darf ich bitte vor?“, ruft sie in die Schlange hinein, mit der wohl süßesten Stimme, die sie drauf hat, verbunden mit jenen Körperbewegungen, die einen dringend nötigen Toilettengang andeuten sollen. „Ich muss nur was abgeben, und ich hab es ganz eilig!“
Ihr Problem: Alle in der Schlange wollen bloß etwas abgeben. Und alle wollen den Raum so bald wie möglich wieder verlassen. Ihr noch viel größeres Problem: In der Schlange stehen ausschließlich weibliche Kunden, die das 50. Lebensjahr mehr oder weniger deutlich überschritten haben. Und natürlich ich selbst. Das Mädchen wendet sich also mit ihrer ach so dringenden Bitte an einen Hörerkreis, der für ihren Augenaufschlag alles andere als anfällig ist. Stille im Raum, niemand reagiert. Man beobachtet stattdessen interessiert den Fortgang der Notauszahlung. Die junge Frau wirkt konsterniert, blickt kurz auf das Smartphone in ihrer linken Hand, findet hier aber weder Hilfestellung noch Anleitung für ihre Lage. Sie bleibt vielleicht eine Minute reglos stehen, seufzt und rennt aus dem Laden.

Zwei Gedanken huschen mir durch den Kopf, während ich endlich mein Päckchen abgebe. Zunächst: In Kundenschlangen sind alle Menschen gleich-ungültig. Und: Manche Enttäuschungen muss man manchen Menschen einfach zumuten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen