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Freitag, 14. Juli 2017

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Vorhin eine nette kleine Begebenheit: Wir sitzen auf der Terrasse und essen zu Mittag. Am Briefkasten des Nachbarhauses steht ein Mann mittleren Alters und wirft Prospekte ein. Von der äußeren Erscheinung wirkt er wie einer, der üblicherweise in der Münchener Innenstadt die Zeitung BISS anbietet. Er bemerkt uns, wendet sich uns zu, tritt einen Schritt näher und winkt. „Habe die Ehre“, ruft er. „Eine frohe Botschaft für Sie: Wer an Jesus Christus glaubt, der hat das ewige Leben. Einen schönen Tag noch. Servus!“

Der freundliche Herr, den ich zuvor noch nicht hier gesehen habe, wirkte nicht wie ein Spinner. Mit seinem fröhlich zugeworfenen Evangelium (Joh 3,36; 1 Joh 5,12) war es ihm offenbar ernst. Vermutlich hat er darin einen gewissen religiösen Halt gefunden – einen Halt, den ich ihm herzlich gönne und der ihm hoffentlich nicht genommen wird.
Aus reservativer Perspektive ist der Satz „Wer an Jesus Christus glaubt, der hat das ewige Leben“ natürlich uminterpretationsbedürftig, da er, religiös begriffen, eine Wirklichkeit suggeriert, die es nicht gibt und nicht geben wird. Reservativ uminterpretiert ist mit dem Satz gesagt: Wer sich dem messianischen Ereignis glaubend anvertraut (wofür sich heute kein Wirklichkeitsgrund mehr angeben lässt), der ist schon jetzt fiktiv (als ob) in einer ganz anderen Wirklichkeit beheimatet, die nicht wirklich ist. Diese Beheimatung ist insofern relevant im Wirklichen, als dass sie hier fiktiv (als ob nicht) heimatlos macht. Ich befürchte, dass sich das so uminterpretierte Evangelium, dass sich dieser Glaube nicht so leicht und fröhlich über den Zaun rufen lässt. Oder anders: Das Erfreuliche dieses Glaubens drängt sich nicht intuitiv auf und muss bisweilen hart errungen werden.

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