Reservative Theologie ist nicht positive (natürliche) Theologie, die Substanzen oder Eigenschaften Gottes benennt, dogmatisch entfaltet und ethisch wendet.
Sie ist nicht negative (natürliche) Theologie, die sich Substanzen oder Eigenschaften Gottes via negationis zumindest anzunähern versucht.
Sie ist nicht mystische Theologie, keine Lehre von der sinnlichen Erschließung eines verborgenen und unbekannten Gottes.
Reservative Theologie ist nicht reformatorische Notlösung, ist nicht insofern als ob Theologie, als dass sie zwischen einem verborgenen, eigentlichen Gott und einem offenbarten, uneigentlichen Gott unterscheidet und die (uneigentliche) Lehre von und über Gott auf das beschränkt, was wir von Gott wissen sollen – etwa aus der Schrift oder aus den Gesetzen der Schöpfung.
Zwischenbemerkung: Die Rede von Gott als dem Schöpfer, dem Erhalter und vielleicht sogar als dem Vollender der Weltwirklichkeit hatte ihre Zeit, und gerade in ihrer reformatorischen Variante hat diese Rede ein unverzichtbares entzauberndes Potenzial entfaltet. Heute aber müssen wir diese Rede endgültig verabschieden. Sie konserviert den Lückenbüßergott, sie konserviert falsche Analogien und sie konserviert eine gefährliche Fortschrittsdynamik. Die Fragen, die mit Gott als Schöpfer, Erhalter und Vollender beantwortet wurden, müssen heute schlechtweg offen, das Unlösbare muss ungelöst bleiben (Bonhoeffer). Damit ist zugleich gesagt: Diese Fragen dürfen heute auch nicht mehr mit (inzwischen veralteten Erscheinungsformen) der Evolutionstheorie beantwortet werden. Die Evolutionstheorie ist ja von ihrer Herkunft nichts anderes als eine Säkularisierung der Rede von Schöpfer, Erhalter und Vollender. Damit ist, nebenbei bemerkt, auch gesagt: Die Zuflucht zum gnostischen Dualismus dürfen wir uns heute auch nicht mehr gönnen.
Reservative Theologie ist nicht protestantische Theologie nach der Aufklärung, eine allgemeine religiöse Lehre von den Gesetzen des Menschseins, der Moral und der Kultur, die sich heute in einer allgemeinen Menschlichkeits- und Lebenshilfesymbolik verflüchtigt.
Und schließlich ist reservative Theologie keine aufgeklärte Offenbarungstheologie, kein voluntaristischer Aufstand gegen den Verlust eines positiven Substanzgottes. Herkunft und Substanz jeder Offenbarungstheologie müssen heute beliebig erscheinen, und Offenbarungstheologie kann dogmatisch wie ethisch nicht anders, als in eine ausufernde und letztlich nicht zu rechtfertigende Orthodoxie umzuschlagen.
Die Liste der Abgrenzungen und Ausschlüsse ließe sich verlängern. Stattdessen ein Versuch einer möglichen Bestimmung: Reservative Theologie ist zunächst nicht mehr als die Setzung (als ob) einer substanzlosen Gotteswirklichkeit, die als Aufhebung und Überwindung, als Verungültigung der Weltwirklichkeit gedacht wird. Dahinter steht die (höchst erklärungsbedürftige) Annahme, dass uns in der heutigen Lage des Denkens und Lebens nichts anderes mehr bleibt als diese Setzung. Sie ist ein Gebot sowohl der intellektuellen als auch der praktischen Redlichkeit.
Substanziell und konkret wird reservative Theologie erst durch die Konfrontation mit der Weltwirklichkeit, mit ihren Gesetzen und Mechanismen. Damit reservative Theologie gegenwärtig und relevant werden kann, bedarf es der Anerkennung und umfassenden Kenntnis der Gesetze und Mechanismen von Sein und Existenz. Man kann auch sagen: Ohne die Annahme der Gesetze und Mechanismen von Sein und Existenz als Wirklichkeit bleibt reservative Theologie belanglos.
Reservative Theologie wird nun nicht, in Vergültigungsabsicht, positiv, negativ oder mystisch aus den Gesetzen und Mechanismen von Sein und Existenz heraus entfaltet. Sie wird, in Verungültigungsabsicht, in die Gesetze und Mechanismen von Sein und Existenz hinein entfaltet, zunächst interpretatorisch, dann vor allem aber auch praktisch. Die Annahme ihrer Ungültigkeit als ob nicht wird in die Weltwirklichkeit hinein gelebt. Man kann reservative Theologie, im Bewusstsein der Missverständnisse, die sich daran anschließen können, damit durchaus als Ontotheologie oder auch als Existenztheologie bezeichnen – allerdings subversiv-dispensatorisch gewendet. Reservative Theologie ist die substanzielle, konkrete und praktische Lehre von der geglaubten (fiktionalen) Ungültigkeit aller Gültigkeiten von Sein und Existenz.
Das Verhältnis von reservativ interpretierter Gotteswirklichkeit und reservativ interpretierter Weltwirklichkeit lässt sich in Anlehnung an eine kantische Formulierung vielleicht so fassen: Der Gedanke der verungültigenden Gotteswirklichkeit ohne die als gültig angenommene Weltwirklichkeit ist irrelevant, die als gültig wahrgenommene Weltwirklichkeit ohne den Gedanken der verungültigenden Gotteswirklichkeit ist gleich-gültig.
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