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Sonntag, 29. Oktober 2023

983

Während wir denken, wissen wir eigentlich nie so recht, was da gerade mit uns geschieht.

982

Unser Bewusstsein hat lediglich eine Funktion: Probleme erfinden und lösen, die wir ohne Bewusstsein nicht hätten.

Freitag, 27. Oktober 2023

981

Warum ich kein guter Pädagoge bin: weil ich dazu neige, auf kleine Fragen große Antworten zu geben. Sobald ich zu antworten beginne, habe ich den Fragenden bereits verloren.

980

Im Grunde genommen sind alle Äußerungen und Akte des Bewusstseins Phänomene der Vergängnisbewältigung.

979

Bisweilen hilft es, sich daran zu erinnern, dass die Wirklichkeit mit sich selbst kein Problem hat.

Donnerstag, 26. Oktober 2023

978

Phasen und Wendungen meines Denkens.

Prägung: Christliche Verurteilung der Weltlichkeit der Welt, Verurteilung ihrer Säkularität.

Erdung: Theologische Anerkennung und philosophische Behauptung der Säkularität

Wendung eins: Verzweiflung an Christentum und Säkularität zugleich und gleichermaßen.

Selbstirritation: Aufdeckung genealogischer Abhängigkeit und struktureller Ähnlichkeit von Christentum und Säkularität.

Wendung zwei: Wiederentdeckung und Aneignung des paulinischen Messianismus.

Aufklärung: Messianische Kritik des religiösen wie des säkularen Christentums.

Wendung drei: Fragmentarische Entfaltung eines reservativen Messianismus.

In jeder Phase und Wendung vor Wendung drei meines Denkens habe ich das jeweils Ergriffene oder Verlorene so behauptet, als wäre es das Letzte – still auf dessen Vorläufigkeit hoffend.
Und auch jetzt ist das Letzte noch nicht da, noch nicht ergriffen. Ich jage ihm aber nach. Konstruktiv im eigentlichen Sinne des Begriffs.

Freitag, 20. Oktober 2023

977

Ich bin ein enger Freund der Differenzierung. Keine halbwegs angemessene Wirklichkeitsdiagnose, ohne Differenzierung. Gerade auch unter den vermeintlich oder tatsächlich Denkenden beobachte ich jedoch bisweilen geradezu eine Flucht in die Differenzierung – zum Zwecke der Unantastbarkeit. Man will demonstrieren, man will nachweisen können, dass man an alles gedacht, dass man alles bedacht hat – um zuletzt nicht dingfest gemacht werden zu können. Um nicht verantwortlich gemacht werden zu können für die Neigung, für die Konsequenz, für die Wirkung des eigenen Denkens. Differenzierung kann auch Ausdruck der Feigheit sein.

Sonntag, 15. Oktober 2023

976

Besuch einer kirchlichen Veranstaltung, angesiedelt irgendwo zwischen klassisch-musikalischer Erbauung und religiöser Besinnung. Und da ist sie wieder: diese beeindruckende und zugleich irritierende christliche complexio oppositorum, dieses nahezu verzweifelte Bemühen darum, letztlich nur eine gültige Wirklichkeit zu denken und diese Wirklichkeit in und unter einer einzigen Gottheit zu vereinigen, zusammenzuhalten.
Gerade noch Johann Bachs Motette Unser Leben ist ein Schatten, jene eindringliche Erinnerung an die Flüchtigkeit und Nichtigkeit alles Wirklichen, dann, unmittelbar, unvermittelt und letztlich unvermittelbar anschließend, im Angesicht des aktuellen Hamas-Terrors gegen Israel, das flehentliche Friedensgebet. Ein Gebet, das auf eine Wirklichkeit hinaus will, das sich an eine künftige Weltwirklichkeit hängt, die es so nicht geben wird. Die es so nicht geben kann. Weil Wirklichkeit nicht Gott, weil Gott nicht Wirklichkeit ist.
Als complexio oppositorum ist das Christentum verlockend und abstoßend, verzaubernd und enttäuschend zugleich. Die christliche complexio oppositorum ist wesentliche Mitursache für beides: für Aufstieg und Fall des Christentums.

Freitag, 6. Oktober 2023

975

Gegen die falschen Propheten, gegen jene Apokalyptiker, die verschleiern statt zu enthüllen: Das Wirkliche vergeht, ist im Vergehen begriffen. Dabei lässt und wird sich das Vergehen weder beschleunigen noch verzögern. Das Vergehen ist nicht veränderbar oder veränderlich. Es schreitet unmerklich und unabänderlich voran – bis es augenblicklich und überraschend abbricht im augenblicklichen und überraschenden Abbruch des Wirklichen.