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Samstag, 23. April 2022

834

Wie immer, so habe ich auch meinen Text zu 2 Thess 2 schon im Vorfeld der Publikation einigen Freundinnen und Freunden zugeschickt. Ihre Rückfragen und Anmerkungen, auch die dadurch angestoßenen Diskussionen helfen mir immer sehr. Vorhin habe ich die kritische und ermutigende E-Mail eines Freundes beantwortet. Was ich in meiner Reaktion formuliert habe, kann ich auszugsweise hier hinterlegen, weil sich darin – ohne, dass man Hintergründe und Details kennen müsste – einige wichtige Grundlinien meines Denkens zumindest andeuten.

Freitag, 15. April 2022

833

Karfreitag. Noch einmal drängt sich die mich unablässig begleitende Frage nach einem fragmentarischen Leben in den Vordergrund (siehe Nr. 746, 790, 811). Was fragmentarisches Leben nicht sein kann, nicht sein darf: der verzweifelte Versuch, ein Ganzes zusammenzustückeln, der defaitistische Rückzug in das Fragment einer asketischen Identität, der immer flüchtige Sprung zwischen den Fragmenten.
Fragmentarisch leben meint wohl vor allem: die Nicht-Ganzheit der Existenz praktisch anerkennen, der Nicht-Identität aller und aller einzelnen Existenzfragmente praktisch standhalten. Konkreter, positiver kann ich es noch nicht fassen.

Sonntag, 10. April 2022

832

Lese gerade den Selbstnachruf von Harald Welzer, Buchgeschenk eines lieben mitdenkenden Freundes. Darin, grob gesagt, der Versuch, eine Kultur des Aufhörens vom Tod, vom Nichts her zu begründen. Ich empfinde große Sympathie für diesen Ansatz, so, wie ich auch große Sympathie empfinde für Agambens eschatologisch begründete Politik der Stilllegung.
Und doch will mir der jeweils angebotene Grund für Aufhören oder Stilllegung nicht wirklich überzeugend, nicht wirklich schlagend erscheinen. Von einem wie auch immer begriffenen Ende her denkend eröffnen sich grundsätzlich zwei Wege: der Weg der Askese und der Weg des Exzesses. Aber weder der eine noch der andere Weg (oder eine wie auch immer geartete Mischform) scheint mir vom Ende her unbedingt geboten zu sein. Welchen Weg wir präferieren und beschreiten, hängt wohl nicht zuletzt an unserer intellektuellen und emotionalen Gestimmtheit. Und nebenbei bemerkt: Auch diejenigen, die vom Ende her gedacht aufzuhören oder stillzulegen versuchen, bleiben letztlich doch negativ abhängig von dem, wovon sie eigentlich frei werden wollen: von der Welt selbst.
Nach wie vor bleibe ich daher bei meiner Annahme, dass das Nichts nicht ausreicht, um uns aus unserer funktionalistischen Weltgebanntheit herauszulösen. Wir brauchen die Fiktion einer zweiten Wirklichkeit (die nicht die christliche sein darf), eine Fiktion, auf die Welzer (und natürlich auch Agamben) ausdrücklich verzichten.

831

Das Übel jener Zeit, die wir in der christlichen Dramaturgie als Endzeit begreifen, ist weniger der Krieg, ist weniger das Kriegsgeschrei. Kriege und Kriegsgeschrei hat es immer und überall gegeben. Das Übel dieser Zeit liegt vielmehr in einer totalen Weltgebanntheit der Massen – ein Übel, für das in der spezifischen okzidentalen Erscheinungsform vor allem auch das Christentum selbst verantwortlich ist.