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Freitag, 30. April 2021

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An diesem Ort habe ich schon allzu häufig den Begriff des Ereignisses bemüht. Den Versuch einer eingehenden Bestimmung dessen, was damit gemeint sein könnte, habe ich bislang nicht unternommen. Das ist wohl auch gut so. Was ich Ereignis nenne, lässt sich letztlich nicht greifen, nicht begreifen.

Zweifellos gibt es so etwas wie Ereignisse im Wirklichen. Damit meine ich, ganz eng gefasst, jene kairotischen Momente, in denen etwas emergiert, in denen uns etwas begegnet, in denen sich uns etwas zeigt – ganz real, ganz präsent. Ereignisse in diesem realistischen, mythisch überhaupt nicht aufgeladenen Sinne sind erfahrungsgemäß selten. Ereignisse, die ich selbst als solche wahrgenommen habe, kann ich an zwei Händen abzählen. In meinem Fall waren es immer Menschen, die sich ereignet haben – zumeist in Gestalt ihrer Texte, denen ich begegnen durfte. Im Ausnahmefall aber waren es durchaus auch real emergierende Menschen, präsente Menschen aus Fleisch und Blut, allen Sinnen zugänglich.

Alles entscheidend ist, wie wir Ereignissen begegnen, wie wir sie aufnehmen, wie wir sie handhaben. Ereignisse im kairotisch-emergetischen Sinne sind stets flüchtig, sie verflüchtigen und entziehen sich. Man kann sie als Realität festzuhalten versuchen – das treibt jedoch in eine verzweifelte Lähmung. Man kann sie positivistisch zu wiederholen versuchen – das treibt in eine nicht weniger verzweifelte Vergewaltigung des Wirklichen. Möglich ist auch der Versuch einer repräsentativen Perpetuierung – etwa nach dem Vorbild der christlichen Handhabung des messianischen Ereignisses. Dann läuft man jedoch unausgesetzt sich selbst entleerenden Trugbildern hinterher. Und am Ende bleiben Hände und Herzen leer zurück.

Die eigentliche Kunst in der Aufnahme und Handhabung von Ereignissen besteht darin, sie selbst nicht ergreifen und festhalten zu wollen, sie selbst wieder loszulassen, von ihnen selbst unabhängig zu werden und dann dem, was in ihnen emergiert, Permanenz zu ermöglichen im Denken und Tun, im Interpretieren und Handeln – etwa nach dem Vorbild der paulinischen, nach-jesuanischen Neuaneignung des messianischen Ereignisses. Ereignissen im Wirklichen Permanenz ermöglichen. Das ist der zunächst schmerzhafte, aber allein fruchtverheißende Kampf, dem wir uns stellen müssen. Sonst werden Ereignisse gefährlich, oder sie ereignen sich vergeblich.

Anmerkung: Gibt es im Wirklichen so etwas wie die auf Dauer gestellt Realpräsenz eines Ereignisses? Das kann ich nicht sagen. Erfahren habe ich sie bislang jedenfalls nicht.





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