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Dienstag, 24. September 2019

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Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel. Wütende Anfragen an die Politik, verbissen hinausgespuckt mit zitternder Stimme und feuchten Augen. Man kann dieses Mädchen verachten, man kann es vergöttern – eines ist ganz offensichtlich: In einem fiktiven Hollywood-Streifen über eine jugendliche Klimaaktivistin wäre es zweifellos die Bestbesetzung. Es spielt seine Rolle unüberbietbar gut.

Allerdings: Diese Rolle ist doch allzu bequem. Sie lebt von einem schlichten, unterkomplexen Wirklichkeitsverständnis. Und sie lebt von einer unreflektierten, geradezu tragischen Wirklichkeitsbindung. Einem Mädchen (oder Jungen) mit Gretas Möglichkeiten und Grenzen mag man beides gerade noch durchgehen lassen. Aber doch nicht jenen, deren Aufgabe es ist, die Weltwirklichkeit sorgfältig zu denken, sie aufmerksam und hilfreich zu interpretieren. Auch, vielleicht noch viel weniger jenen, die in der Wirklichkeit politisch zu entscheiden haben.

In den öffentlichen Debatten zum Klimawandel nehme ich leider nach wie vor ausschließlich Interpreten und Entscheider wahr, die immer noch die überkommene, die repräsentative Fährte und Strategie verfolgen. Sie mögen Gretas Feinde oder Gretas Fans sein. Sie mögen den kommenden Gang der Wirklichkeit verharmlosen oder dramatisieren.
Besonders unangenehm fallen mir Interpreten aus dem christlich-kirchlich-theologischen Milieu auf. Mehr denn je und mit konsequenter Zuverlässigkeit gehen sie ihrer immer schon fragwürdigen, weil analogischen Schöpfungstheologie und ihrer immer schon fragwürdigen, weil immanentisierenden Eschatologie in die Falle.
Geradezu beklemmend wird es, wenn Figuren wie Greta und die von ihnen gespielten Rollen messianisch aufgeladen werden. „Heiliger Zorn!“, so gestern Abend ein Facebook-Post zu Gretas UN-Auftritt, in die Welt gesetzt von einem Jugendbekannten, heute evangelischer Pfarrer. Als hätte Greta soeben den Tempel gereinigt. Gelegentlich bin ich versucht, angesichts solch religiöser Verirrung an die alte Hobbes'sche Formel zu erinnern: Jesus is the Christ. Aber das wäre mittlerweile allzu erklärungsbedürftig. Ein frommer Shitstorm wäre mir wohl gewiss.

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