Freitag, 27. April 2018
381
Das Wesen des reservativen als ob nicht in kurzer Fassung (wobei Wesen ein irreführender repräsentativer Begriff ist, ich jedoch keinen anderen zur Hand habe): Das reservative als ob nicht ist Kritik jeder nur denkbaren immanenten Gültigkeitsabsolutheit, jeder sich zur Gottheit erhebenden und unbedingt befehlenden Gültigkeit. Es ist interpretatorischer und praktischer Schutzraum vor allen weltwirklichen Göttern, auch vor jenen Göttern, die als transzendent weltwirklich vorgestellt werden. Politisch äußerst sich die Abweisung immanenter Absolutheit zunächst in permanenter Ideologiekritik, die sich immer wieder auch gegen sich selbst richtet, zugleich in permanenter Kontextualität, in unausgesetzter Sensibilität für das Hier und Jetzt Notwendige.
Montag, 23. April 2018
380
Wieder einmal musste ich einem (bayerisch) lutherischen Konfirmationsgottesdienst beiwohnen. Die zu konfirmierenden hatten im Unterricht ihren Glauben auf Steine geschrieben und gaben ihn nun als individuelles Bekenntnis zum Besten. Gleich danach wurde das Apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen, als Symbol des gemeinsamen Glaubens der Kirche. Das eine wollte allerdings so gar nicht zum anderen passen. Entweder hat hier keine Katechese stattgefunden, oder diese hat kläglich versagt. Oder, was wahrscheinlich ist, in der Katechese hat auch hier die für die Spätmoderne typische Verschiebung stattgefunden: von der reformatorischen Nötigung zum individuellen Glauben hin zur Pluralität des individuellen Glaubens. Unter reformatorischen Voraussetzungen darf (und muss) jedes Individuum selbst das Eine glauben. Heute darf (und muss) jedes Individuum das Eine glauben, was ihm beliebt.
Donnerstag, 12. April 2018
379
Es gibt eine göttliche Fügung, es gibt aber auch eine teuflische Fügung. Die göttliche Fügung reizt, ermutigt zur Freiheit von der Weltwirklichkeit, die teuflische Fügung nötigt hinein in die totale Funktionalität, in den absoluten Gehorsam gegenüber den Befehlen der Weltwirklichkeit. Ob etwas für uns göttliche oder teuflische Fügung ist, hängt ab von unserer Interpretation, von unserem Glauben. Ob wir in unserer Interpretation selbst als Verfügende auftreten, oder ob über unsere Interpretation verfügt wird, lässt sich kaum sagen. Auch das ist Interpretation. Luthers Annahme, wir seien bloß Lasttiere, die nicht darüber verfügen können, wer sie reitet, Gott oder Teufel, drängt sich heute allerdings mehr auf denn je.
Anmerkung 1: Die göttliche Fügung, die uns alles zum Besten dienen lässt (Röm 8,28), zielt gerade nicht auf weltwirkliches Gelingen, Wohlsein, Glück. Das Beste dieser Fügung meint nicht weltwirkliche Bedürfnisbefriedigung. Es meint Freiheit aus Glauben, meint am Ende auch Freiheit von Gelingen, Wohlsein, Glück. Wie kann uns in diesem Sinne alles zum Besten dienen? Indem wir alles in diesem Sinne interpretieren, glauben, indem wir uns in diesem Sinne „alle Dinge zum Besten dienen lassen“ (Bonhoeffer).
Anmerkung 2: Es ist nicht wahr, dass dem Reichen die Freiheitsinterpretation, der Glaube schwerer fällt als dem Armen. Zwar ist der Satz wahr: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Mk 10,25). Der gleiche Satz gilt aber auch für den Armen. Nur, weil Jesus diesen Satz nicht gesagt hat, ist er nicht falsch. Die teuflische, bindende, funktionalisierende Fügung setzt beim Armen lediglich an einer anderen Stelle an und führt zu anderen Konsequenzen. Mit gutem Grund betet Agur: „Armut und Reichtum gib mir nicht“ (Spr 30,8). Reichtum und Armut stehen dem Besten göttlicher Fügung gleichermaßen im Wege.
Dienstag, 10. April 2018
378
Wer sich mit Jochen Klepper auseinandersetzt, der wird nicht umhinkönnen, sich auch mit der Frage der Selbsttötung auseinanderzusetzen. Einige kurze Intuitionen.
Montag, 9. April 2018
377
Im öffentlich-rechtlichen Radio, in einer katholisch verantworteten Sendung ein irritierendes und zugleich faszinierendes Beispiel für die fundamentale Problematik repräsentativ begriffener Sprache: „Jesus wurde an Karfreitag ans Kreuz genagelt. Damit ist uns gesagt, dass wir am Karfreitag unseres Lebens Nägel mit Köpfen machen müssen.“ Autsch. Aber: Woher das qualifizierende Kriterium nehmen, das eine schmerzhafte Repräsentationslogik wie diese ausschließt, unmöglich macht?
376
Poppers Satz „Alles Leben ist Problemlösen“ sagt im Grunde: Alles Leben ist die pausenlose Wiederholung eines Fehlers. Pausenlos wenden wir uns wieder und wieder den Problemen des Lebens zu, als ließen sie sich lösen. Aber kein Problem des Lebens lässt sich lösen. Das Leben als Problem ist unlösbar. Alles hängt davon ab, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen.
Freitag, 6. April 2018
375
Eine Ahnung, eine Erinnerung: Öffentliche Wirkungslosigkeit, öffentliche Irrelevanz ist in gewissem Sinne der Preis des reservativen Glaubens. Reservativer Glaube findet sich eher bei den Stillen im Lande (Ps 35,20). Der Glaube Jesu wäre öffentlich irrelevant geblieben, wäre er nicht im Christentum zu einer öffentlich wirkungsvollen Sache transformiert worden. Diese Transformation aber und jede ihr vergleichbare Transformation kann immer nur erkauft werden mit dem Verlust des Glaubens, mit der Substitution des Glaubens durch Religion. Diese Einsicht ist eine Warnung. Sie ist jedoch keine Aufforderung zum Quietismus.