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Freitag, 22. September 2017

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Gestern Abend – Vortrag eines Referatsleiters im Verteidigungsministerium (er leitet jenes Referat, das derzeit den Traditionserlass der Bundeswehr federführend überarbeitet). Darin ein Begriff, den ich aus meiner militärischen Vergangenheit kenne, allerdings viele Jahre nicht mehr gehört habe: der Begriff des „gemeinsamen Zeichenvorrates“. Gesagt werden soll damit, dass eine Gruppe, eine Gesellschaft, auch eine Institution bei aller Pluralität und Differenz eines verbindenden Kerns gemeinschaftlicher und verlässlicher Zeichen bedarf. Und dies im funktionalen wie im substanziellen Sinne: Ein bestimmtes Zeichen löst bei allen Angehörigen von Gruppen, Gesellschaften, Institutionen verlässlich diese oder jene Mechanismen, diese oder jene Kausalkette aus. Ein bestimmtes Zeichen repräsentiert eine bestimmte Substanz (heute spricht man gerne von Wert), die alle Angehörigen von Gruppen, Gesellschaften, Institutionen als wesentlich, unverzichtbar und verbindend begreifen. Durch die Suche auch nach ihrer Tradition versucht die Bundeswehr, (noch einmal) einen gemeinsamen Zeichenvorrat zu finden und zu sichern.
Das Problem: Gemeinsame Zeichenvorräte transformieren sich – immer und überall. In der abendländischen Gegenwart kommt hinzu: Die Transformation der Zeichenvorräte beschleunigt sich, zugleich fallen die Zeichenvorräte der Zerstückung und Fragmentierung anheim. Das noch wesentlich fundamentalere Problem: Das repräsentative Zeitalter geht insgesamt seinem Ende entgegen, das Zeitalter, in dem wir Zeichen als Repräsentanten interpretiert haben. Eine neue Interpretation der Zeichen ist noch nicht in Sicht. Was uns derzeit bleibt, ist der Versuch einer Wiederbelebung von Repräsentationen, von gemeinsamen Zeichenvorräten im repräsentativen Sinne, die verzweifelte und durchaus auch gefährliche Reanimation von Todgeweihten.

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