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Samstag, 9. September 2017

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Sitze gerade im Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus – Jahrestagung der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft. Bekannte Namen der gegenwärtigen deutschsprachigen evangelischen Theologie haben referiert: Pierre Bühler, Wilfried Härle, Torsten Meireis, Wolfgang Huber. Im Reformationsjubiläumsjahr steht die Frage nach Themen reformatorischer Theologie bei Bonhoeffer im Mittelpunkt, dabei auch die Frage nach der Relevanz Luthers für Bonhoeffers Denken.

Mich versetzen die Vorträge, Diskussionen und Gespräche in diesem Kontext erneut in eine innere Gemengelage aus Verständnis, Verwunderung und Verärgerung. Ich kann sehr gut anerkennen, dass der sprachliche und lebenspraktische Weg aus den überkommenen religiös-metaphysischen Symboliken und den mit ihnen gegebenen Gültigkeitslogiken weit ist. Ich kann anerkennen, dass dieser Weg (zunächst) nur Wenigen möglich ist. Was mich aber wundert und ärgert ist, dass gerade bei Theologen wie Härle und Huber in ihrer Auseinandersetzung mit Bonhoeffer noch nicht einmal eine Ahnung dieses Weges aufschimmert, schon gar nicht die Bereitschaft, diesen Weg zu gehen und auf diesen Weg mitzunehmen. Im Gegenteil. Ihnen scheint vor allem an religiöser Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung gelegen zu sein. Bonhoeffer ist und bleibt für sie letztlich bloß eine mögliche Variante reformatorisch-christlichen Denkens, die einer Überprüfung unterzogen wird, inwiefern sie mit einer (als absolut und allgemein angenommenen) reformatorisch-christlichen Wahrheit übereinstimmt oder nicht. Damit aber bleibt Bonhoeffer, bei Licht betrachtet, für unser eigenes Hier und Jetzt irrelevant und unfruchtbar – was repräsentative Figuren wie Härle und Huber allerdings gar nicht wahrzunehmen in der Lage sind.
Im Blick auf mich selbst tritt angesichts dieser Beobachtungen zu Verständnis, Verwunderung und Verärgerung immer auch die Verzweiflung. Ich will nicht mehr über Gültigkeiten sprechen, sondern über Ungültigkeiten. Ich will nicht mehr repräsentativ, sondern reservativ sprechen. Das hat jedoch noch nicht einmal im Kontext der Bonhoeffer-Forschung einen Raum, noch nicht einmal eine Nische (wenn nicht hier, wo dann?). Ich bin also darauf reduziert, die immer gleichen Fragen zu stellen. Und: Um tatsächlich (öffentlich) reservativ sprechen zu können, müsste ich selbst wesentlich weiter sein – im Denken wie im Leben. Dafür jedoch sind meine eigenen Grenzen, nicht zuletzt die Grenzen meiner eigenen Begabungen, zu eng gesteckt (abgesehen davon, dass mir mein Weg in die Reservation zugleich jedes repräsentative Sendungsbewusstsein entzogen hat).

Ein kleiner Lichtblick: Gestern Abend, während des Vortrages von Huber, habe ich im Publikum Holm Tetens entdeckt. Sehr ungewöhnlich und sehr erfreulich. Allerdings: Wilfried Härle hat ihn gleich mit Beschlag belegt. Da stößt man dann besser nicht hinzu.

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