Ich habe sehr viel Verständnis für die Missstände, unter denen die Klinikmitarbeiter leiden. Aber in dieser Notaufnahme ging es in jeder Hinsicht zu wie in einem alten deutschen Postamt. Ich habe insgesamt mindestens zehn Mitarbeiter gezählt, die, ohne Blickkontakt zu den Patienten aufzunehmen, hinter Glastüren immer wieder hin und her geschlurft sind – ohne erkennbare, zielgerichtete Beschäftigung. Zwischendurch sprangen auch einige als Nikolaus oder Rentier verkleidete Personen durchs Bild. Die Quote: sechs Patienten mit offenbar eher leichten Beschwerden oder Verletzungen in 3 Stunden. Ein halbwegs gut organisiertes medizinisches Versorgungszentrum bewältigt das locker in 30 Minuten. Aber immerhin konnte man den zahlreichen Qualitätszertifikaten an den Wänden des Wartebereichs entnehmen, dass man bei entsprechenden Kontrollen in der Lage ist, eine gute Show abzuliefern.
Kurzzeitig war ich versucht, meine Gegenwartsdiagnose zu verwerfen: dass uns unser politisches, gesellschaftliches, wirtschaftliches und technisches System durch unausgesetzte Beschleunigung in den kollektiven Burnout hineintreibt. Von Beschleunigung war gestern nichts wahrzunehmen. Aber vielleicht habe ich ja auch eine deutliche Bestätigung meiner These erlebt. Vielleicht hat besagte Notaufnahme die Beschleunigung bereits hinter sich und zeigt nun als Ganzes deutliche Symptome totaler Erschöpfung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen