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Sonntag, 18. September 2022

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Gelegentlich steht mir in der Erinnerung einer meiner militärischen Lehrgangsleiter vor Augen, der mich und meine Kameraden zu Beginn eines für unseren Werdegang entscheidenden Ausbildungsabschnitts mit einer schlichten aber folgenreichen Wahrheit konfrontiert hat: „Mit dem heutigen Tage“, so sagte er damals in seiner Begrüßungsansprache, „wechseln Sie die Seiten. Künftig sind Sie nicht mehr Arbeitnehmer. Von nun an sind Sie Arbeitgeber.“ Ich war damals gerade einmal 21 Jahre alt.
Was mein Lehrgangsleiter uns mit seiner Verbalnote schon früh hinter die Ohren schreiben wollte: Offiziere, militärische Führer, müssen einen Haltungswechsel vollziehen. Sie dürfen sich möglichst früh nicht mehr zu jenen zählen, die im Wesentlichen Ansprüche formulieren, die davon ausgehen, dass ihnen grundsätzlich oder aufgrund einer erbrachten Leistung irgendetwas zustünde. Sie müssen sich vielmehr zu jenen zählen, die im Wesentlichen Zumutungen formulieren, die vor allem sich selbst Leistung abverlangen – unabhängig davon, ob sie auf irgendetwas Anspruch haben, ob ihnen irgendetwas zusteht.
Die gegenwärtig nachwachsende Generation militärischer Führer ist nach meiner Beobachtung auf diesen notwendigen Haltungswechsel nicht oder nur schlecht vorbereitet. Und in Deutschland wird den jungen Offizieren dieser Wechsel inzwischen deutlich zu spät zugemutet. Das kann und wird nicht folgenlos bleiben.

Anmerkung: Ein altes römisches Prinzip formuliert die Freiheit des Herrschers von den Gesetzen. Princeps legibus solutus est. Calvin weist in seinen frühen juristischen Kommentaren darauf hin, dieses Freiheitsrecht sei nichts anderes als ein Recht auf erhöhte Pflichten. Eine durchaus geeignete Mahnung gerade auch für militärische Führer. Je höher die Stellung, je größer die Macht, desto geringer der Anspruch, desto größer die Zumutung.

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