In Deutschland spricht man von einer sicherheitspolitischen Zeitenwende. Manchen geht das zu weit, anderen kann es sich nicht schnell genug wenden. Offene Briefe werden geschrieben, politische und militärische Forderungen werden erhoben und gegeneinander in Stellung gebracht. Jeder offene Brief hat die eine oder andere schlagende Moral auf seiner Seite, und eigentlich weiß man in dieser neuen normativen Unübersichtlichkeit gar nicht so recht, welcher Moral man denn nun Folge leisten soll.
Merkwürdigerweise habe ich in diesen Tagen oft an 1 Sam 8 denken müssen: an die Warnung des Propheten Samuel vor dem Königtum und seinen Folgen. Als Kind hat mich dieser Text irritiert – stand er doch durchaus im Widerspruch zur positiven Grundhaltung gegenüber Staatlichkeit und Obrigkeit, wie ich sie unter christlichen Vorzeichen immer wahrgenommen habe. Bei mir selbst hat sich durch die Beschäftigung mit diesem Text schon früh zumindest ein untergründiges Misstrauen gegenüber staatlichen und hierarchischen Strukturen und den damit verbundenen Zwangsmechanismen eingebrannt.
Heute, gerade auch in unserer gegenwärtigen Lage, kann Samuels Warnung zunächst daran erinnern, dass unsere politischen Regulationsbehausungen, in denen wir als beieinanderseiende Wesen Lebens- und Zusammenlebensraum suchen, nicht gottgegeben sondern menschengewollt sind. Jede dieser Behausungen hat lebensdienliche, zusammenlebensdienliche Eigenschaften, jede dieser Behausungen zwingt uns aber auch in Grenzen, Mechaniken und Dynamiken, die sich als lebens- und zusammenlebensfeindlich erweisen können – insbesondere dann, wenn diese Behausungen, in Bedrängnis gebracht, dazu tendieren, sich selbst in ihrer jeweiligen Eigenart als absolute Norm zu begreifen und zu behaupten. Jede politische Behausung kann zum Denk- und Handlungsgefängnis werden, auch die Behausung der Nation, auch die der Macht, aber durchaus auch die Behausung des Rechts und der Freiheit. Immer dann, wenn uns unsere politischen Behausungen in Alternativlosigkeiten hineinzwingen – spätestens dann sind höchste Sorge und höchste Vorsicht geboten.
Anmerkung: Gerade auch für die Religiösen ist 1 Sam 8 eine Warnung. Nicht alles, was irgendwann unhinterfragt als göttlich gewollt und gesetzt angenommen wird, entspricht tatsächlich dem ursprünglichen, eigentlichen göttlichen Willen. Und der Zweck, den das vermeintlich göttlich Gewollte und Gesetzte verfolgt, könnte durchaus ein anderer sein als der, den das religiöse Gemüt in seiner Einfalt vor Augen hat.
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