Samstag, 29. Januar 2022
822
Je mehr wir uns auf Sozialität, auf den Apparat menschlicher Gemeinschaft einlassen, desto stärker sind wir von ihren Mechanismen ergriffen, mitgerissen. Man könnte auch sagen: desto unvermeidlicher müssen wir uns der umfassenden Bosheit ihrer Funktionalität stellen. Nicht zuletzt auch der Bosheit ihrer Moralität. Aber nur so ist es uns möglich, dem Rad hier und da in die Speichen zu fallen, der zuletzt tödlichen Unvermeidlichkeit sozialer Kausalität eine Richtung zu geben, die deren peinigende Wirkungen zumindest übergangsweise abfedert, dämpft.
821
Nach der kopernikanischen Wende im Denken: Wir haben, auf dem Wege der intellektuellen Redlichkeit, keine andere Wahl mehr, als uns der in eigener Interpretation entworfenen Fiktion als Sache unbedingt zu unterwerfen.
Im Unterschied zur kantischen Gültigkeitsfiktion fordert die reservative Ungültigkeitsfiktion allerdings nicht von allen das Gleiche, sondern von jedem Einzelnen in seiner jeweiligen Situation ein Anderes. Das reservative Subjekt, das reservative Unterworfene ist ein anderes als das kantische.
Sonntag, 23. Januar 2022
820
Noch einmal eine kurze tagespolitische Einlassung. Der Inspekteur der deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach, wird dazu genötigt, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Wegen seiner halböffentlichen, im Netz verbreiteten Kommentierung des Ukraine-Konfliktes.
Freitag, 14. Januar 2022
819
Es ist so naheliegend: Nicht im Beruf, nicht im Zustand, nicht im Ereignis ereilt uns der Ruf, finden wir unseren Ruf. Hier ereilt uns, hier finden wir immer allein unseren Dämon.
Im als ob nicht, in das also ob nicht hinein sind wir immer schon gerufen. Gerufen durch die Sache selbst. Diesem Ruf gilt es zu folgen, dieses Rufes gilt es sich unablässig zu erinnern, zu vergewissern. In jedem beliebigen Beruf, in jedem beliebigen Zustand, in jedem beliebigen Ereignis (noch einmal zu Nr. 270, 308, 538, 708).
Freitag, 7. Januar 2022
818
Denkend schreiben, schreibend denken ist der Versuch, ein Puzzle zusammenzufügen, dessen Teile noch nicht einmal gestanzt sind.
817
als ob nicht:
in jedem Augenblick
das Wirkliche
still
sein
lassen
816
Sein Selbst findet, wer sich seines Selbst entäußert.
Sonntag, 2. Januar 2022
815
Die Sache des als ob nicht, die Sache der Ungültigkeit eröffnet und sichert uns Freiheit. Alles ist erlaubt. Erlaubt ist auch – das Unterlassen. Ganz im Sinne der Sache. Auch wegen der Verwechslungsgefahr.
Bisweilen handeln wir aus Freiheit nicht bloß deshalb nicht, weil es pragmatisch schlechtweg sinnvoll erscheint oder weil wir den weniger Freien nicht Stein des Anstoßes sein wollen. Sondern auch deshalb, weil sich die tatsächliche Freiheit aus Ungültigkeit und die vermeintliche Freiheit aus Gleich-Gültigkeit praktisch zum Verwechseln ähnlich sind (siehe Nr. 107). Es kann durchaus erforderlich sein, den Unterschied durch Unterlassen zu wahren und zu demonstrieren.