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Dienstag, 18. Dezember 2018

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Ein kurzer Gedanke zur (möglichen) reservativen Kritik hetero-, homo- oder anderssexueller Bestimmtheit und Praxis.

Wenn in paulinischer Uminterpretation von Gesetz und Sünde gilt, dass die Behauptung dogmatischer und ethischer Gültigkeiten vor allem dazu beiträgt, Sünde im Sinne ontologischer und existenzialer Bestimmtheit zu ermächtigen (Röm 5, 20, dazu Nr. 61), dann gilt zunächst, dass sich in der gesetzlichen Bestimmtheit von Sexualität kein göttliches Wesen Ausdruck verschafft oder auch nur abbildet. Heterosexualität ist nicht göttlicher oder gottgemäßer als Homosexualität. Oder anders: Heterosexualität und Homosexualität (oder jede andere Bestimmtheit von Sexualität) sind gleichermaßen Sünde – nicht im dogmatischen oder ethischen, sondern im ontologischen und existenzialen Sinne.
Es gilt zugleich, dass sich in der gesetzlichen Bestimmtheit von Sexualität kein göttlicher Wille Ausdruck verschafft oder auch nur abbildet – Bestimmtheit hier begriffen im empirischen wie im normativen Sinne. In der spezifischen empirischen Bestimmtheit von Sexualität äußert sich kein göttlicher Wille, in der normativen Bestimmung und Orientierung von Sexualität aber auch nicht. Es ist lediglich so, dass (auch) eine spezifische Dialektik von empirischer und normativer Bestimmtheit der Sexualität so etwas wie Sündenbewusstsein wecken kann (Röm 7), ein Bewusstsein des tragischen Zirkels, in dem wir als Menschen ontologisch und existenzial gefangen gesetzt sind. Über Gottes Wesen und Willen ist damit allerdings rein gar nichts ausgesagt. Im gesetzlichen Sinne hat Gott mit unserer Sexualität schlechtweg nichts zu schaffen.
Reservative Kritik der Sexualität kann also nicht auf die Bevorzugung dieser und auf die Verurteilung jener gesetzlichen Bestimmtheit von Sexualität hinauslaufen. Sie setzt vielmehr dort ein, wo die jeweilige sexuelle Bestimmtheit als (unbedingte) Gültigkeit behauptet und wo die Praxis dieser Bestimmtheit (unbedingt) eingefordert wird (wie etwa in den homosexuellen Selbstbehauptungsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte). Dabei will reservative Kritik der Sexualität letztlich auf einen reservativen Gebrauch der jeweiligen sexuellen Bestimmtheit hinaus, auf eine Handhabung der individuellen gesetzlichen Bestimmtheiten von Sexualität durch ihre Anschauung als aufgehoben und überwunden, als ungültig hindurch. Ansatz und Absicht reservativer Kritik der Sexualität richten sich damit nicht gegen eine bestimmte sexuelle Bestimmtheit und deren Praxis, sondern gegen jede beliebige (unbedingte) Vergültigung von Sexualität überhaupt – sie sei hetero-, homo- oder anderssexueller Natur.

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