Sonntag, 25. Dezember 2016
219
Es ist eine alte abendländischer Annahme, man müsse anderen Menschen nur gute Gründe nennen – dann würden sie das Richtige und Gute schon tun. Aber der Mensch ist kompliziert. Was er tun kann, hängt nicht nur an seinen Gründen, sondern auch an seiner Natur und an seinen Prägungen. Es gehört viel Freiheit von den eigenen Gründen, der eigenen Natur und den eigenen Prägungen dazu, das Richtige und Gute tun zu können. Und es gehört viel Freiheit von den eigenen Gründen, der eigenen Natur und den eigenen Prägungen dazu, den Anderen anzunehmen und für ihn da zu sein, auch wenn er das vermeintlich Richtige und Gute nicht tut, nicht tun kann. Diese Freiheit wünsche ich allen, die hier gelegentlich vorbeischauen: die Freiheit der Weihnacht.
Mittwoch, 21. Dezember 2016
218
In einer Spiegel-Kolumne ist gestern Abend zu lesen, Weihnachten dürfe nach Berlin nicht ausfallen. Jetzt sei es wichtig, nach Hause zu fahren, gemeinsam mit der Familie zu diskutieren und zu trauern – und sich auf die Werte zu besinnen, für die dieses Fest stehe. Im Sinn hat die Autorin dabei Werte wie Demokratie, Offenheit und Menschlichkeit – also einige magere Säkularisate der christlichen Religion.
Kann man Weihnachten eigentlich auch reservativ feiern? Durchaus, auch und gerade jetzt, auch und gerade nach Berlin. Ein reservativ begriffenes Weihnachtsfest ist allerdings kein Fest der Werte. Es ist ein Fest der Freiheit von Werten, und es ist ein Fest der Freiheit von Angriffen auf Werte. Es ist ein Fest der Freiheit von Wohlstand und Armut, von Segen und Fluch zugleich. Es ist ein messianisches Fest der Freiheit von der Weltwirklichkeit, ein Fest der Erinnerung daran, dass die Weltwirklichkeit nicht die Heimat des reservativ Glaubenden ist. Zu diesem Fest sind Geschenke nicht unpassend. Aber vielleicht lassen sich ja Geschenke finden, die nicht zusätzlich an die Weltwirklichkeit binden, sondern die als reservatives Symbol dienen, als Erinnerung an die geglaubte Freiheit.
Dienstag, 20. Dezember 2016
217
Die Ereignisse von Berlin am gestrigen Abend haben mich noch einmal an eine beliebte Parole meiner Schulzeit erinnert: „Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Eine ebenso beliebte Entgegnung war: „Dann kommt der Krieg zu Dir.“ Das ist unsere kommende Realität. Und gerade in Deutschland sind wir weder interpretatorisch noch lebenspraktisch darauf vorbereitet.
Mittwoch, 14. Dezember 2016
216
Es gibt eine Weisheit des Alters, die weiß nichts davon, dass ihre Weisheit eine Erscheinungsform von Müdigkeit, von Schwäche ist.
215
Angst ist kein guter Berater von Aufklärung. Naivität auch nicht. Es gibt allerdings eine gelehrte Angst, auch eine gelehrte Naivität, die im Gewand der Aufklärung auftreten.
Dienstag, 6. Dezember 2016
214
Gestern Abend haben wir mit einer unserer Töchter mehr als drei Stunden in der Notaufnahme eines Münchener Klinikums verbracht – nach einer Sportverletzung, wegen einer einfachen Röntgenaufnahme.
Montag, 5. Dezember 2016
213
Der Wille des Einzelnen als eigener ist unterbunden und diskreditiert durch das Allgemeine (Gesetz) – es sei Tugend, Pflicht, Nutzen, Wert oder was auch immer. Wer seinen Willen einem Allgemeinen unterwirft, der kann nicht zugleich das Einzelne als eigenes wollen, der tritt als Einzelner zurück, der will tatsächlich nicht selbst. Menschen des Allgemeinen sind in dem, was sie wollen, nie selbst präsent, und das jeweils Gewollte ist nie das selbst gewollte. Menschen des Allgemeinen handhabt man daher am besten mit größter Vorsicht und Zurückhaltung.
Die praktische Frage des Allgemeinen ist: Was soll ich tun? Selbst Kant entgeht: Das ist (nach wie vor) die Frage des Unmündigen. Die Frage des mündigen Einzelnen ist: Was will ich tun? Die Ermöglichung und Rehabilitation des einzelnen Willens setzt die Überwindung des Allgemeinen, die Überwindung allgemeiner Systeme der Unmündigkeit voraus.
Die praktische Frage des Allgemeinen ist: Was soll ich tun? Selbst Kant entgeht: Das ist (nach wie vor) die Frage des Unmündigen. Die Frage des mündigen Einzelnen ist: Was will ich tun? Die Ermöglichung und Rehabilitation des einzelnen Willens setzt die Überwindung des Allgemeinen, die Überwindung allgemeiner Systeme der Unmündigkeit voraus.
212
In der Erziehung vor allem auf Entzauberung zu setzen, ist ein unangenehmes und oft unerfreuliches Geschäft. Alles andere wäre jedoch eine künstliche Erschwernis und Verlängerung des Weges zur Freiheit.