Seiten

Sonntag, 14. März 2021

696

Neulich ein kleiner Disput mit einer Kollegin über die Notwendigkeit der Anerkennung virtueller Kompetenz. Ich habe das Gespräch rasch versanden lassen. Die Kollegin ist klug, richtet ihre Klugheit aber offenbar vorrangig oder gar ausschließlich auf das Funktionale.

Einer meiner Vorbehalte, die ich im Austausch kurz anzudeuten versucht habe: In vorvirtueller Zeit hat uns die Auseinandersetzung mit dem Wirklichen früher oder später zu zwei demütigenden Einsichten genötigt. Zunächst: Nicht alles, was uns reizt, ist uns tatsächlich möglich. Und: Nicht alles, was wir können, ist tatsächlich relevant.
Die virtuelle Wirklichkeit, die sich uns heute zunehmend aufdrängt, erlaubt es nun, diesen beiden Einsichten auszuweichen, ihnen zu entkommen. Sie eröffnet sogar Räume, in denen uns das Gegenteil vorgegaukelt wird: Alles, was Dich reizt, ist Dir auch möglich, was Du sein willst, kannst Du tatsächlich werden. Und alles, was Du kannst und bist, hat tatsächlich auch Bedeutung. Die inzwischen allgegenwärtigen Konsequenzen: Eine Hypertrophie des Selbst und eine Hypertrophie des Nichtigen bei nicht wenigen der virtuell Kompetenten.

Erste Nachbemerkung: Meine Befürchtung ist auch, dass wachsende virtuelle Kompetenz mit einer abnehmenden fiktionalen Kompetenz einhergeht. Die Glaubenskompetenz geht verloren, also die einzige Kompetenz, die uns das Selbst und das Nichtige angemessen zu handhaben helfen kann.

Zweite Nachbemerkung: Von einer Kritik des spätmodernen Trends Kompetenz statt Können habe ich an dieser Stelle einmal absichtlich abgesehen (siehe dazu Nr. 208).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen