Reservative Existenz ist zwischen zwei Extremen aufgespannt: zwischen dem „nicht haben, als hätten wir nicht nicht“ (Hiob vor seiner Genesung) und dem „haben, als hätten wir nicht“ (Hiob nach seiner Genesung). Im Zustand des „nicht haben“ droht die Verbitterung, die Gefangenschaft im Leid. Im Zustand des „haben“ droht die Sucht, die Gefangenschaft im Glück. Im „nicht haben“ wie im „haben“ gilt es also immer wieder reservativ Zuflucht zu suchen in der Freiheit des „als ob nicht“. Diese Freiheit mindert oder beendet nicht das Leiden. Sie vergällt oder beendet auch nicht das Glück. Ganz leiden – und doch frei sein vom Leid. Ganz glücklich sein – und doch frei sein vom Glück. Das ist Reservation.
Als besonders herausfordernd erscheint mir der Prozess der Genesung, der Übergang zwischen Leid und Glück: den reservativen Kampf gegen die Verzweiflung beenden, dem weltwirklich Gegebenen wieder vertrauen, es durchaus auch genießen lernen, zugleich aber unabhängig bleiben von den Befehlen, die jeder weltwirkliche Genuss unmittelbar zu erteilen versucht.
Hiob war nach seiner Genesung nicht mehr durch Leid, sondern durch Glück gesegnet. Womöglich war er auch (wieder) glücklich. Aber dann war er zweifellos anders glücklich als zuvor. Reservativ glücklich.
Interessant ist ja, dass das Denken tatsächlich die Existenz überholen kann - man denkt voraus!
AntwortenLöschenAber ist man mit dem Vorausdenken tatsächlich schon jenseits der Existenz oder vergegenwärtigt man sich das zukünftige, sprich man gestaltet das noch zu kommende.
Bedeutet also, ich lebe schon so so, als wäre ich im Kommenden - somit sollte die Existenz nicht nur dem Denken folgen, sondern sogar noch das Sein überholen.... ? Um das zu können, muss das Sein aber losgelassen werden, sonst bin ich dort gefangen...