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Freitag, 20. Juni 2025

1154

Selbsterinnerung: Im als ob nicht existierend hat man immer zwei Überzeugungen zugleich – eine mittelbare und vermittelbare Überzeugung als ob, zugleich eine unmittelbare und unvermittelbare Überzeugung als ob nicht. Die messianische Kunst: Das Vermittelbare zum innerwirklichen Zwecke des Unvermittelbaren zu gebrauchen (siehe Nr. 158, 182, 462, 624).

Donnerstag, 19. Juni 2025

1153

Eine weitere Perspektive auf die bevorstehende Aufgabe: aus Überzeugung die Lehre von der Überzeugung lösen. Erkenntnis wissentlich vorenthalten. Willentlich hinter das Bekenntnis zurücktreten. Strukturell habe ich diesen Ansatz bereits in meiner Dissertation vertreten – als Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit der reformatorischen politischen Theologie. Es konkretisiert sich hier eine spezifische Variante des Zwei-Reiche-Gedankens. Auch eine erneuerte, messianische Arkandisziplin (zu Nr. 1149, dazu auch Nr. 85, 464).

1152

Wer sich mit Kurt Flasch in der Philosophie, in der philosophischen Theologie des Mittelalters orientiert, der wird nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die jeweilige Metaphysik, wie sehr gerade auch der jeweilige Gottesentwurf abhängig ist von Kontext, Prägung und Interesse. Man könnte auch sagen: Wir entwerfen uns (zumeist unbewusst) in unserer Zeit immer den Gott, der uns gemäß und der uns nützlich ist. Passt dieser Gott nicht mehr in die Zeit, ist er uns nicht mehr gemäß oder nützlich, so ist er nicht mehr haltbar. Er wird abgeschafft und ersetzt. Auch so gesehen sind unsere philosophischen und theologischen Konzeptionen nie Wahrheit, sondern immer bloß Symptom. Entsprechend gibt es über die Zeit keinen Fortschritt in der Wahrheit, sondern lediglich eine Veränderung in der Symptomatik.

Sonntag, 15. Juni 2025

1151

Die Lektüren zur Philosophie des Mittelalters sind hier und da noch einmal erhellend – nicht zuletzt auch die Beschäftigung mit der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie William von Ockhams. Zugleich – auch im Blick auf meine kommende Aufgabe – arbeite ich mich ein in das Wirklichkeitsverständnis der modernen Naturwissenschaften, insbesondere in die erkenntnistheoretischen Debatten der Physiker des 20. Jahrhunderts. Auch hier die immer wieder erstaunliche Beobachtung: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. So ist etwa die Kontroverse zwischen Max Planck und Ernst Mach auf verschiedenen Ebenen vergleichbar mit dem Universalienstreit des Hochmittelalters.
Dazu hier nur zwei kurze Gedanken. Zunächst: Es gibt eine deutlich erkennbare Nähe zwischen Mach und Ockham. Über diese mögliche Verbindung ist, soweit ich sehe, in der wissenschaftstheoretischen Literatur noch nicht allzu viel gesagt worden – abgesehen von der offensichtlichen Analogie zwischen den beiden Ökonomieprinzipien.
Dann: Der von Planck vertretene, physikalische Realismus ist kaum weniger fragwürdig als der Universalienrealismus der mittelalterlichen Aristoteliker. Planck behauptet eine von der Wahrnehmung und dem Empfinden des Menschen unabhängige Wirklichkeit, kann aber nicht umhin, sich den Zugang zu dieser Wirklichkeit über an das menschliche Bewusstsein gebundene und insofern davon abhängige Zeichen- oder Symbolsysteme zu verschaffen. Die Behauptung, in diesen Systemen Wirklichkeit zu haben und mit Hilfe dieser Systeme über das Wirkliche etwas Allgemeines und dauerhaft Verbindliches aussagen zu können, ist geradezu eine quasi-religiöse Annahme (im Sinne einer Verlagerung des von Planck bekämpften Wunders in der Physik in die Sprache und ihr Verhältnis zum Wirklichen). Ähnliches gilt für die mit dieser Annahme eng verbundene kosmologische Annahme einer im Wirklichen auffindbaren sicheren, wenngleich quantenphysikalisch relativierten probabilistischen Ordnung.

Anmerkung: Gerade auch in der Erkenntnistheorie deutet Whitehead mit seiner überzogenen Verallgemeinerung durchaus in die richtige Richtung: „The safest general characterization of the European philosophical tradition is that it consists of a series of footnotes to Plato.“ Nach wie vor arbeiten wir uns im Westen an Platon und Aristoteles ab.

Samstag, 14. Juni 2025

1150

Nominalismus geht und führt dann in die Irre, wenn er in Konstruktivismus umschlägt.

Freitag, 6. Juni 2025

1149

Es steht ein wohl letzter beruflicher Wechsel bevor. Noch einmal und im Umfang deutlich ausgeweitet werde ich in der Lehre gefordert sein. Noch einmal und schärfer noch als bisher stehe ich damit vor der Frage, was ich überhaupt (noch) zu sagen habe, was ich überhaupt (noch) sagen kann. Was kann ich, der sich mit guten Gründen zunehmend zum Schweigen genötigt sieht, Menschen sagen, die mit guten Gründen von mir vor allem dies erwarten werden: eine überzeugende normativ-praktische Klarheit?

Sonntag, 1. Juni 2025

1148

Wenn Appelle notwendig erscheinen, dann ist es regelmäßig bereits zu spät.

1147

Ich setzte mich derzeit noch einmal dem Anspruch der Kenosis aus. Selbstentleerung ist die Bedingung der messianischen Praxis des als ob nicht – dies nicht im Sinne der Vorbereitung auf ein Neues, auf ein anderes Substanzielles, sondern im Sinne der Bedingung messianischer Daseinsfähigkeit überhaupt.

1146

Die mittelalterlichen (augustinischen) Vorbehalte gegenüber dem allzu großen Interesse am Natürlichen, am Empirischen: darin enthalten eine noch falsch begründete, aber dennoch bereits treffende Ahnung von der Wirklichkeitsgefangenschaft, in die man sich verstricken kann, von dem Verlust jeder Freiheitssicherung.

1145

Die Sehnsucht nach Wundern, das Streben nach Weisheit: Ausdruck der Unfähigkeit oder des Unwillens, einfach in der Welt, einfach da zu sein.